Als Kind war er oft im Augsburger Theater – mit den Eltern schon vor der Schulzeit. „Ich erinnere mich noch gut an die roten Sessel, den schweren Vorhang, die geschwungenen Treppen. Für mich war das Haus damals das, was man sich unter Theater vorstellt“, so Stefan Sinning, der neue Architekt aus dem Architekturbüro HENN in München, der mit seinem Team die langwierigen Dauerbaustellen des Augsburger Staatstheaters möglichst bis 2030 wieder in ein attraktives Ensemble verwandeln soll.
„Ich würde mir dann im neuen Staatstheater gerne Philharmonie-Konzerte anhören“, so der Wahl-Münchner, dessen Mutter, bald 90, aber nach wie vor in Augsburg lebt. „Sie freut sich sehr, dass wir das Theater machen“, sagt Sinning, der in Augsburg die Schule besucht hat.
Stefan Sinning, der am 15. August 60 Jahre alt wird, hat die Baustellen rund ums Staatstheater, das 1878 eröffnet wurde, inzwischen komplett übernommen. Zum alten Eisen gehören beide nicht: Der Architekt arbeitete nach seinem Studium an der Technischen Universität München einige Jahre bei Foster and Partners in London und ist seit 2017 Geschäftsführer des Architekturbüros Henn. Das alte Gemäuer und der Neubau sollen durch sein Team wieder erstrahlen. „Wir sind ein großes Büro, keine Einzelpersonen. Ohne ein starkes Team funktioniert das nicht“, betont er.
Stefan Sinning: Kindheit in Augsburg, oft im Theater
Aufgewachsen in Augsburg, einer Stadt mit „unglaublich viel Raumbildung und Qualität“, prägten Sinning von früh auf dreidimensionale Formen, Räume und das Handwerk. Ob beim Werken oder Zeichnen: „Ich habe immer gerne gestaltet“, sagt er. Architektur bedeutete für ihn zunächst: mitwirken an schönen, oft alten Häusern. Doch das Studium prägte ihn. Heute ist er „durch und durch ein Architekt, der zeitgemäß und zeitgenössisch baut und eine ganz andere Formensprache gefunden hat.“
Das Büro HENN war zuerst für das Kleine Haus und das Betriebsgebäude zuständig, am 1. Juli sind Sinning und sein Team auch bei der Sanierung des Großen Hauses eingestiegen. Das Staatstheater Augsburg ist seinem Büro, das seit Jahren in München den großen Gasteig in Planung hat, ein Herzensanliegen. Ein solches Ensemble aus Alt und Neu sei eher selten. Drei Häuser, zwei Aufträge, ein Ziel: ein Kulturort, der alle einlädt. Das Staatstheater soll nicht der elitäre Kulturtempel sein, als der es ursprünglich gebaut wurde. „Kultur darf heute keine Berührungsängste auslösen. Sie muss neugierig machen. Die freie Kultur ist heute auch die Basis unserer demokratischen Werte“, sagt Sinning.
Sinning: Die Glasfassade soll Theaterbesucher anlocken
Das neue „Kleine Haus“ sei fast die größte Herausforderung: ein Neubau auf engstem Raum, es soll „in einen starken Dialog mit dem großen Haus treten, ohne es einfach nur fortzuschreiben“. Der gekündigte Vorgänger, das Münchner Büro Achatz, setzte auf eine Fassade aus gelochtem Beton. Die Kritik an der neuen Fassade aus Glas – sie sei hässlich oder billig – kontert Sinning souverän: Baukunstrat und Nutzern gefalle es. „Es ist vielleicht nicht so leicht lesbar, wie der vorherige Entwurf. Aber wir wollten etwas Abstraktes, etwas, das neugierig macht. Wenn dort abends die Lichter angehen und man sieht von außen die vielen Menschen, will man vielleicht auch dorthin gehen!“
Das Große Haus, ein denkmalgeschützter Bau mit Schichten aus dem 19. Jahrhundert, der NS-Zeit und den 1950er Jahren, ist eine andere Herausforderung. „Denkmalpflege ist Feinarbeit“, sagt Sinning. Er erinnert sich, wie die Architekten in den 50ern bewusst abgeräumt hätten mit dem Alten. „Die 50er waren sehr, sehr mutig im Umgang mit historischer Bausubstanz.“ Es gehe ihm um die Würde des Bestehenden. Gleichzeitig wird das Haus technisch und funktional für die Zukunft fit gemacht.
Das dritte Gebäude, das Betriebsgebäude, sei das „funktionalste“ – und trotzdem kein Zweckbau. Auch hier gehe es um gute Räume für die Arbeit hinter der Bühne. Für Sinning ist jedes der drei Gebäude ein eigenes Universum – und trotz der Komplexität verliert der Architekt nie den Blick fürs Ganze: „Es geht nicht darum, Architektur für Architekten zu machen. Es geht um Menschen. Und darum, dass sie sich gern in diesen Räumen aufhalten.“ Ob großzügigere mehrgeschossige Foyers, barrierearme Wege oder eine Bar, in die mehr als 30 Leute passen – Gestaltung heißt für ihn immer auch „Zugang schaffen“.
Sinning setzt für das Staatstheater auch auf Expertise aus Augsburg
Ebenfalls mit von der Partie wird das Büro Leitwerk aus Augsburg sein, mit dem das Büro HENN beim Baramundi-Headquarter im Innovationspark zusammengearbeitet hat. Sinning: „Wir setzen auf regionale Expertise – und auf echte Zusammenarbeit.“ Ebenso spielt Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle – in Form von recycelten Materialien, Verschattungskonzepten oder begrünten Dächern.
Ob Sinning sein großes Ziel, ein denkmalgeschütztes Gebäude zu erhalten und auf einen funktionalen Stand zu bringen, bis 2030 erreichen wird? „Die Termine erscheinen plausibel. Aber wir wollen nicht versprechen, was wir noch nicht voll überblicken“, sagt er. Auch bei den Kosten seien Schätzungen schwer, wobei rund 420 Millionen Euro plausibel scheinen. Sinning: „Wir sind ein Büro, das Budgets sehr, sehr ernst nimmt.“
Noch sind Stefan Sinning und seine Leute dabei, sich in die Arbeit ihrer Vorgänger einzuarbeiten. Das große Ganze geht schließlich bis ins kleinste Detail: „Wir planen einfach alles – zum Beispiel auch Schränke. Und wenn nötig, besorgen wir im Notfall auch mal Teller.“
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