Erinnern wir uns ein paar Jahre zurück, als alle Welt auf die Zulassung von Impfstoffen gegen Covid-19 gewartet hat. Nicht selten, wenn (neue) Medikamente hergestellt werden, auch Kosmetika: Die Zulassungsvorschriften schrieben oder schreiben auch Versuche an Tieren vor. Zahllose Mäuse müssen dazu alljährlich ihr Leben lassen, ebenso Schweine, möglicherweise sogar Affen. Jetzt macht ein Fall Schlagzeilen, bei dem auf einem landwirtschaftlichen Anwesen in der Gemeinde Kissing (Kreis Aichach-Friedberg) Tausende von Kaninchen gezüchtet und getötet werden, um aus dem Blut der Tiere Antikörper für die Pharmaindustrie zu gewinnen.

Einmal mehr steckt ein in Augsburg registrierter Verein hinter der Pressekampagne in der Angelegenheit, die „Soko Tierschutz“ mit Sitz in München. Diese hatte unter der Überschrift „Die Blutfarm des Bio-Bauern“ für bundesweite Schlagzeilen gesorgt. „Monatelang arbeitete ein Undercover-Ermittler von SOKO Tierschutz in einer Kaninchenblutfarm in Kissing bei Augsburg“, heißt es auf der Homepage des Vereins. Dieser „Ermittler“ hat dort heimlich Filmaufnahmen von den Vorgängen auf dem Hof gemacht. „In tristen Käfigbatterien leiden tausende Tiere unter der brutalen Regide [sic!] der Angestellten: Kaninchen werden mit Wucht in die Käfige geworfen, an den empfindlichen Ohren getragen, zeigen Wunden, abgebissene Ohren und Verhaltensstörungen“, heißt es wörtlich.

Kontrollen angeblich angekündigt

Betrieben werde die Anlage von einem grünen Lokalpolitiker und Bio-Landwirt – er sei nach Mitteilung der Grünen „parteiloses Mitglied im Gemeinderat Kissing und hier Teil der grünen Fraktion“. Geworben werden von dem Unternehmen des Landwirts für Bio-Erdbeeren, Bio-Heidelbeeren, Bio-Lämmer, auch „Unser Land“-Eier und Soja. Der laut Soko „millionenschwere Handel“ mit Tierblut, das an mindestens zwei Konzerne verkauft werde, bleibe in der Online-Präsenz unerwähnt. Das Geschäft mit dem Blut der Kaninchen laufe gut, berichtet die Soko, der Betrieb sei gerade erst um drei Hallen erweitert worden.

Die Nagetiere, so werden die Vorgänge auf dem Hof beschrieben, würden regelmäßig fixiert und mit einer Spritze immunisiert. Nach Wochen werde ihnen das Blut direkt aus dem Herzen gepumpt. Die erschlafften, absterbenden Körper würden „wie Abfall entsorgt“.

Ein Vorwurf, den die Soko Tierschutz immer wieder, auch schon bei spektakulären früheren Kampagnen wie jenen um die Zustände auf Allgäuer Milchvieh-Höfen, aufgeworfen hat: „Auch die amtliche Kontrolle versagt mal wieder: Der Besuch des Veterinäramts war angekündigt, ein schwer leidendes Kaninchen wurde vorher noch schnell getötet.“

Fazit von SOKO Tierschutz: Der Verein hat nach eigener Darstellung „Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz und wegen Verdachts auf Verrat von Dienstgeheimnissen gestellt. Wir fordern ein Ende der Geheimhaltung und den Ausstieg (…) aus dieser grausamen Industrie – Alternativen ohne Tierleid gibt es längst.“

Bezüglich der Kontrollen weist das dafür verantwortliche Veterinäramt des Landkreises Aichach-Friedberg die Vorwürfe der „angekündigten Kontrollen“ zurück. Ein Sprecher teilte mit, der Kissinger Betrieb werde regelmäßig kontrolliert. Dabei seien in den vergangenen fünf Jahren keine Beanstandungen festgestellt worden. Auch seien keine Hinweise auf Missstände bekannt gewesen. Die aktuellen Vorwürfe sollen überprüft werden und „falls sich Nachweise über Verstöße fänden, würden weitere Maßnahmen eingeleitet.“ Die Vorwürfe der Soko Tierschutz wurden zurückgewiesen: Kontrollen des Veterinäramtes erfolgten grundsätzlich unangemeldet.

Informationen zufolge werde die Zucht der Kaninchen bereits seit den 90er-Jahren auf dem Hof betrieben. Aktuell durchliefen jährlich rund 36.000 Tiere die Zucht, die mit ihrem Tod endet.

Schnell überflüssig machen

Der betroffene Landwirt wehrte sich, auch mit anwaltlicher Unterstützung, gegen die Vorwürfe. Die in der Tierschutz-Versuchstierverordnung festgelegten Haltungsbedingungen der Tiere würden eingehalten, was den zur Verfügung stehenden Platz für die Kaninchen anbelange, sogar übertroffen. Erfüllt würden auch die Vorschriften in Sachen Fachkenntnis der Mitarbeiter. Auf die Bilder im Film der Soko von den schlimmen Zuständen in den Ställen mit verletzten, gar wie tot daliegenden Kaninchen, habe man umgehend reagiert. Die Mitarbeiter seien zusätzlich geschult worden und sie seien zum tierschutzkonformen Umgang sensibilisiert worden.

„Mit Entsetzen“ hat die Grüne Jugend Augsburg auf die aufgedeckten Zustände am Kissinger Biohof Kissing reagiert. Besonders erschütternd sei der Umgang mit den Tieren vor Ort. „Die Ignoranz gegenüber fühlenden Lebewesen ist erschreckend. Wir müssen sicherstellen, dass kein Tier mehr im vermeintlichen Namen der Medizin auf diese barbarische Weise leiden muss“, so Diana Schuster, Sprecherin der Grünen Jugend Augsburg. Die Grüne Jugend kritisiert in einer Mitteilung, dass eine solche Form der Tierhaltung in Deutschland überhaupt legal ist. Wenn dann auch noch ein Biobauer mit einem grünen Mandat davon profitiere, sei dies doppelt inakzeptabel und stehe im klaren Widerspruch zu den grünen Grundwerten von Nachhaltigkeit, Transparenz und Tierwohl. Ein Bio-Erdbeerhof, der im Hinterzimmer ein Tierversuchslabor betreibe, sei widerwärtig und verachtenswert. „Dass der Betreiber (…) dies unter dem Deckmantel vermeintlicher grüner Werte macht, schockiert umso mehr“. Die Grüne Jugend fordert den Rücktritt des Betreibers aus dem Gemeinderat sowie den Ausschluss aus der grünen Fraktion.

Etwas moderater die Reaktion der Mutterpartei aus München: „Wir Grüne setzen uns dafür ein, dass Medikamentenforschung und diagnostische Verfahren in Zukunft ohne Tierversuche möglich sind. Im Bund arbeiten wir an einer nationalen Ausstiegsstrategie für Tierversuche. Tierhaltung für medizinische Zwecke muss strenger kontrolliert werden – auch die Pharmaindustrie ist hier in der Pflicht, genauer hinzuschauen und Verantwortung zu übernehmen. Unser Ziel ist es, Tierversuche konsequent zu reduzieren und schnellstmöglich überflüssig zu machen.“ Derzeit lasse sich der Bedarf an Antikörpern für medizinische Zwecke aber nicht flächendeckend ohne Tierversuche decken.

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