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Donnerstag, 20. November 2025

Die Erbinnen der Augsburger Puppenkiste

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Die „Wilde 13“ schippert im Hintergrund über das Folienmeer, und das Urmel und die Kleine Meerjungfrau sitzen beim AJ-Interview brav daneben, während uns zwei Frauen, die die Puppenkiste mit in die Zukunft führen, Rede und Antwort stehen: Melanie und Jessica Marschall, Tochter und Schwiegertochter von Puppenkistenchef Klaus Marschall. Zwei Frauen, zwei Wege – verbunden durch die Leidenschaft für Holz, Stoff und Fantasie.

Melanie, 38, ist stellvertretende Geschäftsführerin. Neben der Verwaltung nimmt sie aber auch Puppenfäden in die Hand. Jessica, 33, ist hauptsächlich Puppenspielerin. Die beiden vertreten die vierte Generation der Familie Marschall/Oehmichen. Melanie Marschall wuchs zwischen Bühne, Werkstatt und Theaterluft auf. Für sie Alltag: „Es war schon etwas Besonderes, aber einfach nichts Außergewöhnliches.“ Am 24. Dezember ging sie immer in eine Vorstellung – „meistens mit der Oma, damit die Eltern zu Hause noch etwas organisieren konnten“, erzählt sie mit einem Lachen. Mit 14 stand sie selbst an der Garderobe, später im Shop, „dann gegen Ende meines Studiums, als ich meine Bachelorarbeit geschrieben habe, bin ich dann meinem Vater hinterher gelatscht.“ Die Entscheidung für den Familienbetrieb kam mit der Zeit. „Es gab von meiner Familie nie den Druck: Du musst in die Puppenkiste, weil du Familie bist.“ Im BWL-Studium habe sich auch andere Berufsfelder angeschaut – Steuerfachangestellte, Bankkauffrau – aber die Faszination für die Puppenkiste blieb. Heute leitet sie gemeinsam mit ihrem Vater den Betrieb. Eine Übergabe? Noch nicht.

Auch privat ist die Puppenkiste fest mit ihrem Leben verwoben. Ihr Partner Florian Moch arbeitet ebenfalls in der Puppenkiste. Ihre zwei Kinder wachsen auch mit dem Puppentheater auf. „Meine Jüngste war auch schon bei der Vorstellung. Die hat auch schon komplett durchgehalten.“ Die Kinder sind schon mittendrin: „Bei uns ist die Werkstatt im Keller – so wie früher bei meiner Oma“, erzählt Melanie. Die Fäden werden also weitergereicht – im wahrsten Sinne des Wortes.

Augsburger Puppenkiste: kleine Meerjungfrau und Drache Trief Aug liegen den beiden am Herzen

Jessica Marschall kam auf anderem Weg zur Bühne. Nicht in Augsburg aufgewachsen, hatte sie mit der Puppenkiste zunächst gar keine Berührungspunkte: „Ich bin hergezogen, als ich im Teenager-Alter war. Da ist sowieso Puppenkiste uninteressant. Das ist einfach nicht die Zielgruppe.“ Nach ihrem Theaterwissenschaftsstudium bewarb sie sich trotzdem: „Es war eher eine allgemeine Bewerbung. Und dann bekam ich die Antwort, dass eine Stelle als Puppenspielerin frei würde, ob da auch Interesse besteht.“ Ein Praktikum später war die Leidenschaft geweckt. „Ich hätte nie gedacht, dass man Puppenspielerin werden kann. Als ich dann hier war, war das wie Verliebtsein.“ Seit 2015 ist sie Teil des Ensembles, seit der „Kleinen Meerjungfrau“ auch Regisseurin. Sie verliebte sich nicht nur in die Puppen: Verheiratet ist sie mit Michael Marschall (42), dem ältesten Sohn von Klaus Marschall. Gemeinsam haben sie ebenfalls zwei Kinder.

Eine Lieblingspuppe hat sie heute bei 5000 Stück eigentlich nicht – „aber die kleine Meerjungfrau liegt mir schon am Herzen“, schiebt sie nach. Für Melanie Marschall ist es der Drache Trief Aug aus dem Stück „So Hi und das weiße Pferd“: „Das ist einfach so ein toller Charakter. Die ist so schön dargestellt und auch die Puppe an sich, dieser Drache. Ich finde den einfach ganz toll und das Stück an sich finde ich auch superschön. Wir spielen es leider im Moment nicht mehr, weil es auch kein so bekanntes Stück ist, aber es kommt vielleicht wieder.“
Ihr Bruder Michael steht auf der Bühne und schnitzt in der Werkstatt, während Thomas, der jüngste Bruder, einen anderen Weg eingeschlagen und IT studiert hat. Die Puppenkiste ist ein Familienbetrieb – „Man arbeitet hier, weil man arbeiten will – nicht, weil man muss.“, sagt Melanie. Eine Familien-Extrawurst gibt’s übrigens nicht: Über der Bühne müssen alle wie ein Uhrwerk ineinandergreifen. Und in den Urlaub nach Italien und Portugal fahren klappe auch ganz normal. „Man hat nie wirklich Feierabend. Privat und Berufliches zu trennen, ist fast unmöglich,“ sagt Jessica. Melanie nickt: „Ich kenne das gar nicht anders. Meine Eltern haben sich hier kennengelernt. Dass ich meinen Partner auch hier kennengelernt habe, war nicht unbedingt geplant, aber hat sich so ergeben und hat alles seine Vor-und Nachteile. Dadurch, dass wir auch am Wochenende arbeiten, ist eine Partnerschaft mit jemandem, der das ganze Wochenende frei hat, vielleicht auch gar nicht so einfach. Es gibt auch mehr Verständnis. Man teilt dann einfach alles.“

Zwischen Holzköpfen und Hightech

Doch wie hält man eine so traditionsreiche Institution lebendig? „Wir werden weiterhin unsere klassischen Stücke spielen – der Räuber Hotzenplotz ist immer als Erstes ausverkauft“, sagt Melanie Marschall. Puppen, Kostüme und Kulissen entstehen noch immer in Handarbeit im Haus. Gleichzeitig sind Frauenrollen moderner, und die Marschalls binden neue Medien ein: „Beim Ring des Nibelungen haben wir schon mit Projektionen gearbeitet“, erzählt sie. Und berichtet mit leuchtenden Augen von der neuen Webserie.

„Wir erhalten die Tradition, indem wir weitermachen“, sagt Jessica. „Das ist das Schöne am Theater, dass man ein Gemeinschaftserlebnis hat – das ist in einer Zeit, in der Kinder oft vor Tablets sitzen, unglaublich wichtig. Die Kinder werden abgeholt, die gehen mit, sind eine Stunde fokussiert und können sich konzentrieren.“

Unweit des Interviews spricht Puppenkisten-Gründer Walter Oehmichen in der „Zeit für Geister“-Ausstellung zu den Besuchern. Nicht nur sein Geist scheint noch in der Puppenkiste zu leben. „Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich in einem Stück die Stimme meiner Oma höre“, sagt Melanie. Jessica nickt. „Ich kenne niemanden aus der vorherigen Generation, aber manchmal, wenn ich in der Werkstatt schnitze, führe ich Zwiegespräche mit ihr. Habe sie gefragt, wo man denn noch was wegnehmen müsste und ob sie wohl zufrieden wäre mit dem, was wir da machen.“

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