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Dienstag, 09. Dezember 2025

Jan-Ingwer Callsen-Bracker: „Das Gehirn steuert alles“

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Jan-Ingwer Callsen-Bracker war nicht nur in den erfolgreichsten Zeiten fester Bestandteil der Bundesliga-Mannschaft des FC Augsburg, er widmete sich bereits während seiner Karriere einem spannenden Thema. Dabei geht es um neurozentriertes Training. Dies baute er nach seiner aktiven Karriere beim DFB weiter aus, mittlerweile ist er selbstständig. Im Interview mit dem Augsburg Journal sprach der 41-Jährige über seine Methoden, seine Karriere und warum ihm Augsburg nach wie vor am Herzen liegt.

Augsburg Journal: Herr Callsen-Bracker, viele kennen Sie als Ex-Profi des FCA und DFB-Experten für Neurotraining. Was machen Sie aktuell?

Jan-Ingwer Callsen-Bracker: Seit diesem Jahr bin ich selbstständig, aber weiterhin in beratender Funktion für den DFB tätig. Parallel dazu habe ich meinen Master in Sportmanagement abgeschlossen und vor kurzem die Masterarbeit erfolgreich verteidigt. Das war mir wichtig.

AJ: Wie viel DFB steckt denn noch in Ihrem Alltag?

Callsen-Bracker: Eine Menge. Ich arbeite mit der Frauen-A-Nationalmannschaft, war zuletzt ein paar Tage beim Lehrgang in Düsseldorf, direkt vor meinem Kolloquium. Außerdem bin ich in der Trainerausbildung als Referent tätig und arbeite seit dieser Saison für die Bundesliga Schiedsrichter GmbH als Neuro-Experte: Dort gebe ich Schulungen und Training für Schiedsrichter der 1. und 2. Liga und die Assistenten. Im November bin ich bei den Zweitliga-Refs, im Januar im Trainingslager in Spanien, im März wieder bei den Erstliga-Schiedsrichtern.

AJ: Das Thema scheint immer wichtiger zu werden …

Callsen-Bracker: Als ich 2011 angefangen habe, war ich der erste Profisportler in Deutschland, der das gemacht hat. Laut einer aktuellen DFB-Umfrage arbeiten rund die Hälfte der Bundesligisten mit Neuro-Experten zusammen, entweder extern oder im Staff. Der Ansatz ist mittlerweile in Medizin, Reha und Performance breit akzeptiert.

Klara Bühl als Fallbeispiel, welches Jan-Ingwer Callsen-Bracker besonders bewegt hat

AJ: Für alle, die den Begriff zwar gehört haben, aber nicht greifen können: Was genau ist neurozentriertes Training?

Callsen-Bracker: Das Gehirn steuert alles – Bewegung, Schmerz, Leistung. Es läuft immer gleich ab: Input -> Verarbeitung -> Motorik (Output). Viele arbeiten nur am Output, also an der Bewegung. Wir schauen vorher: Wie gut ist der Input? Also Sehen, Gleichgewicht, Körperwahrnehmung und wie verarbeitet das Nervensystem diese Reize? Wenn Wahrnehmung und Verarbeitung besser werden, wird automatisch auch die Bewegung besser, oft sogar unmittelbar.

AJ: Gibt es ein Fallbeispiel, das Sie besonders bewegt hat?

Callsen-Bracker: Viele. Ein schönes Beispiel gab es bei der deutschen Nationalspielerin Klara Bühl. Sie hatte über ein Jahr Schmerzen im Knie. Nach einem Analyse-Gespräch haben wir gesehen, dass das Knie beim Laufen immer nach links ausbricht. Wir haben am Sprunggelenk angesetzt und dadurch ohne etwas direkt am Knie zu tun, dieses trotzdem stabilisiert. Plötzlich läuft sie stabil und schmerzfrei. Heute gehört sie zu den Spielerinnen mit den meisten Minuten in Europa.

AJ: Wie sind Sie vom Anwender zum Ausbilder geworden?

Callsen-Bracker: Über meine eigene Leidensgeschichte. Ich war verletzungsanfällig, habe alles „Klassische“ gemacht und hatte trotzdem Probleme. Mit dem neurozentrierten Training habe ich schnell gespürt, dass es meinem Körper hilft und ich viel weniger verletzt war. Dann habe ich mich richtig reingefuchst: Ausbildung in den USA und Skandinavien, Literatur, tägliche Praxis, auch mit einigen Mitspielern damals beim FCA. Wir hatten zu meiner aktiven Zeit über Jahre eine kleine Neuro-Trainingsgruppe im Stadion.

AJ: Gab es den Moment, in dem Sie das Konzept endgültig „bewiesen“ sahen – für sich selbst?

Callsen-Bracker: Ja. Nach meiner schweren Sprunggelenksverletzung mit Knorpelabscherrung und sogar Knochenmarksnekrose aus dem Europa-League-Spiel in Belgrad, konnte ich neun Monate nicht richtig laufen. Über das Training, Geduld und gute Reha habe ich mir die Bewegungsmuster neu erarbeitet, bis zu meinem Comeback nach 18 Monaten. Das am eigenen Körper zu erleben, war der stärkste Beweis und ich sehe es in der täglichen Praxis.

AJ: Ist das neurozentrierte Training nur etwas für Athleten oder kann auch der „Durchschnittsmensch“ etwas ohne großen Aufwand tun?

Callsen-Bracker: Bewegen, schlafen, gut atmen und gesund essen, das sind die Klassiker. Dazu: Augen und Gleichgewicht pflegen. Und ganz banal: Bildschirmzeiten unterbrechen, regelmäßig in die Ferne schauen, mal rausgehen an die frische Luft. Visueller Dauerstress verschlechtert das Sehen und hat Einfluss auf Bewegung und Wohlbefinden.

Jan-Ingwer Callsen-Bracker: Viele Verbindungen zum FCA

AJ: Zurück nach Augsburg: Sie waren bis letztes Jahr im Aufsichtsrat des FCA, haben sich aber nicht mehr zur Wiederwahl gestellt. Warum?

Callsen-Bracker: Unter anderem wegen möglicher Interessenkonflikte, die entstehen, wenn ich mit Vereinen und Spielern außerhalb Augsburgs zusammenarbeite, ist ein FCA-Aufsichtsratsmandat nebenher nicht ideal. Außerdem habe ich durch meinen Job, das Masterstudium und meine Familie viele Verpflichtungen. All dem gerecht zu werden ist auf Dauer nicht so einfach. Ich bin froh, dass Halil Altıntop nun meinen Platz eingenommen hat.

AJ: Haben Sie ansonsten noch viele Verbindungen zum Verein – auch beim Thema neurozentriertes Training?

Callsen-Bracker: Ja. Vor ein paar Jahren, als es viele Verletzte gab, habe ich Impulse gegeben, wie man das neurozentrierte Training implementieren kann, und jemanden empfohlen. Das läuft bis heute.

AJ: Wo sehen Sie Ihr eigenes Feld in den nächsten Jahren?

Callsen-Bracker: Ich werde zunächst weiterhin im Bereich neurozentriertes Training arbeiten. Schwerpunkte neben meiner Vortragstätigkeit werden sein die individuelle Begleitung von Athleten und die Unterstützung von Teams und Sportorganisationen. Perspektivisch reizt es mich natürlich auch, die theoretischen Erkenntnisse aus meinem gerade abgeschlossenen Studium mit praktischen Erfahrungen zu verbinden und daraus neue Ansätze für eine nachhaltige Leistungsentwicklung zu entwickeln.

Augsburg Journal: Persönlich gefragt: Was gefällt Ihnen so gut an Augsburg?

Callsen-Bracker: Weil es sich nach Zuhause anfühlt. Die Stadt hat die perfekte Größe, eine wunderschöne Altstadt, viel Grün, schnelle Wege und man ist schnell in den Bergen oder an den Seen. Meine Familie lebt seit 2011 hier, wir sind gut vernetzt und fühlen uns wohl. Ich bin gern an der Wertach oder in den westlichen Wäldern unterwegs, und ich mag es, einfach durch die Altstadt zu gehen.

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