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Montag, 08. Dezember 2025

Rüdiger Maas: „Das ist keine Rebellion, das ist Performanz“

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Rüdiger Maas ist einer der weltweit führenden Generationenexperten. Seine Forschungsarbeit verpackte er bereits in den ein oder anderen Bestseller, wie „Generation lebensunfähig“. Im Interview mit dem Augsburg Journal spricht der 46-Jährige über die neuen Bedingungen, denen die Generation Z in der Arbeitswelt begegnet, was die Klimabewegung seiner Einschätzung nach falsch gemacht hat und warum er meistens gerne in Augsburg lebt.

Augsburg Journal: Herr Maas, vielen Dank für Ihre Zeit. Sie haben das Institut für Generationenforschung 2017 in Augsburg gegründet. Was war der konkrete Anlass für diesen Schritt?

Rüdiger Maas: Ich kam damals aus der Unternehmensberatung und mir fiel auf, dass in vielen Firmen zwar über Digitalisierung oder Führung gesprochen wurde, aber kaum jemand die junge Generation wirklich betrachtete. Es gab dieses diffuse „Millennials-Ding“. Niemand wusste genau, was diese neue Kohorte antreibt und, was noch wichtiger war: wie sie sich fundamental von den früheren Generationen unterschied. Ich habe damals sehr früh erkannt, dass dieses Thema eine massive Relevanz entwickeln würde. Also bin ich drangeblieben, habe intensiv geforscht und Daten gesammelt. Heute werde ich täglich angefragt, von Medien aus Deutschland, den USA, Japan, Polen – die Fragestellung beschäftigt die Welt.

AJ: Sie arbeiten bewusst außerhalb der Universitätsstrukturen. Das ist ein ungewöhnlicher Weg. Was spricht so fundamental gegen die klassische Wissenschaft?

Maas: Nichts, denn wir betreiben ebenfalls genau diese klassische Wissenschaft, nur eben nicht an einer Universität, und das hat viele Vorteile, denn vor allem bei aktuellen Trendthemen sind die Universitäten oft zu träge. Wir tragen als Institut eine enorme Verantwortung, weil wir mit unseren Studien in den öffentlichen Diskurs eingreifen und Empfehlungen für Unternehmen und Politik abgeben. Das bedeutet, dass unsere Daten belastbarer sein müssen, nicht weniger. Und, ganz ehrlich: So mancher akademische Diskurs dient mehr dem Selbstzweck als dem tatsächlichen Erkenntnisgewinn. Ich bevorzuge die klare Praxisnähe, das Tempo und eine Forschung, die evidenzbasiert und unmittelbar anwendbar ist.

Generation-Thinking®-Methode stammt von Rüdiger Maas

AJ: Sie haben die „Generation-Thinking®-Methode“ entwickelt. Was ist das revolutionär Neue daran?

Maas: Viele Menschen sprechen über Generationen, als wären sie Sternzeichen. Als wäre das Geburtsjahr wichtiger als andere Einflussfaktoren. Das ist wissenschaftlicher Unsinn. Unsere Methode berücksichtig die Alters- und Periodeneffekte sehr präzise. Wir stellen die Frage: Was ist wirklich ein Generationenphänomen, und was ist lediglich Alter, Lebensphase, sozialer Hintergrund oder Zeitgeist? Ich muss also 18-Jährige von heute nicht mit 40-Jährigen von heute vergleichen, sondern mit 18-Jährigen vor zehn oder zwanzig Jahren. Nur so erkenne ich Unterschiede in den Generationen.

AJ: Ein großer Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist die Arbeitswelt. Worin liegen dort die größten Konflikte?

Maas: Wenn wir zurückblicken, sah der Arbeitsmarkt früher völlig anders aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschten überfüllte Klassenzimmer, wenig Ausbildungsplätze und ein enormer Bewerberandrang. Wer damals als einer von hundert einen Job bekam, war zurecht stolz darauf, diesen Platz ergattert zu haben. Heute erleben wir das Gegenteil: Junge Menschen haben deutlich mehr Auswahl und niedrigere Einstiegshürden. Das macht es ihnen schwerer, diesen Stolz auf eine einzelne Arbeitsstelle überhaupt zu empfinden, weil sie sich Jobs eher aussuchen können. Gleichzeitig steht Deutschland vor einer historisch einmaligen Situation: Viele Ältere verlassen den Arbeitsmarkt, während vergleichsweise wenige Nachwuchskräfte nachkommen. Diese Kombination hat es so in unserer Geschichte noch nie gegeben. Der eigentliche Knackpunkt liegt aber an anderer Stelle: Wir haben in der Wirtschaft in den letzten Jahren Hierarchien eingerissen und ständig von „Augenhöhe“ gesprochen. Das klingt schön und modern, aber es nimmt den jungen Menschen Orientierung. Hierarchien können nämlich auch motivierend sein. Man weiß, wo oben ist, wohin man wachsen kann. Viele junge Menschen fordern gerade diese Strukturen und eine klare Führung ein.

Rüdiger Maas: Kinder brauchen Hindernisse und Langeweile

AJ: Ihr Buch trägt den provokanten Titel „Generation arbeitsunfähig“. Ist das wirklich die Analyse einer „defekten Generation“?

Maas: Ganz im Gegenteil. Der Titel war ursprünglich mit Fragezeichen geplant, weil es eine stärkere Diskussion provoziert. Wir machen diese Generation arbeitsunfähig, nicht sie selbst. Dieser Zustand ist ein Ergebnis der Überbehütung durch die Gesellschaft und vor allem durch die Eltern, die alles abfangen, und durch ein Bildungssystem, das nicht an echter Kompetenz misst, sondern an der reinen Regelerfüllung. Wenn Kinder niemals Frust erleben, keine Verantwortung bekommen, wenn Eltern das Kind quasi als ihr eigenes Hobby betrachten, dann lernen sie nicht, mit Widerstand umzugehen, dran zu bleiben oder auch mal mehr zu machen.

AJ: Bleiben wir bei den Eltern: Wenn Sie einen Fehler benennen müssten, was machen sie Ihrer Meinung nach falsch?

Maas: Sie machen zu viel. Zu früh. Zu perfekt. Kinder benötigen auch ab und an mal Hindernisse. Sie brauchen Langeweile, weil daraus Kreativität entsteht. Sie brauchen Frust, um Resilienz zu entwickeln. Das ist heute Mangelware.

AJ: Die junge Generation gilt als politisch sehr sensibel, gleichzeitig rückt ein Teil nach rechts. Wie passt dieser scheinbare Widerspruch zusammen?

Maas: Nicht mehr oder weniger sensibel als alle anderen Generationen vor ihnen. Die jungen Menschen wählen heute jedoch nicht in erster Linie „rechts“ oder „links“, sie wählen sichtbar. Plattformen wie TikTok haben eine enorme Energie: dort sind die Linke und die AfD stark, die klassischen etablierten Parteien verlieren schlichtweg die Sichtbarkeit und die Ansprache. Junge Menschen wählen dort, wo ihre Ängste am besten adressiert werden. Das Klima war eine Zeit lang ein solches Thema, dann kippte die öffentliche Aufmerksamkeit. Hinzu kommt: Wer die aktuellen Krisen, wie Ukraine, Inflation und Klima nicht in einen historischen Kontext einordnen kann, reagiert emotionaler und sucht schnelle, einfache Erklärungen.

AJ: Apropos Klima: Viele kritisieren die Klimabewegung für eine mangelnde Konsequenz. Teilen Sie diese Kritik?

Maas: Es gab anfangs eine große Begeisterung, weil die Jugend „endlich etwas tut“. Aber wirklich konsequent war das Engagement oft nicht. Wer freitags streikt und dann andere machen lässt, ist kein Revolutionär. Wenn die Bewegung wirklich intrinsisch und tief verwurzelt gewesen wäre, hätte sie mehr eskaliert: Sie hätte boykottiert, durchgezogen, gesellschaftliche Grenzen verschoben und sogar am Montag mal demonstriert. Stattdessen blieb es bei einem wöchentlichen Freitagmittagsritual. Freitags nicht in die Schule, Sticker aufs MacBook. Das ist keine Rebellion, das ist Performanz.

Maas spricht sich für mehr mündliche Prüfungen in Universitäten aus. Um kognitiver Abhängigkeit vorzubeugen, fordert Maas: „Wer etwas erklären kann, hat es verstanden, wer es nur aufschreiben kann, hat es vielleicht kopiert.“

KI: Produktivität vs. Abkürzungskultur

AJ: Wie verändert die Künstliche Intelligenz, die jetzt Einzug in alle Bereiche hält, die junge Generation?

Maas: Wir beobachten hier zwei zentrale Entwicklungen. Die eine ist die Abkürzungskultur: KI beantwortet Fragen, bevor ich überhaupt gelernt habe, wie man eine Frage stellt oder einen Lösungsweg findet. Wenn ich nie die Lösungspfade erlerne, kann ich die Ergebnisse von KI nicht mehr kritisch bewerten. Die andere ist die Kompetenzspreizung: Einige junge Menschen nutzen KI enorm produktiv und schöpfen ihr Potenzial aus. Andere wiederum werden komplett abhängig und stumpfen kognitiv ab. Das ist ein echtes Risiko für unsere Gesellschaft. Deshalb plädiere ich im Universitätskontext zum Beispiel für eine Schwerpunktsetzung zu mehr mündlichen Prüfungen. Wer etwas erklären kann, hat es verstanden, wer es nur aufschreiben kann, hat es vielleicht kopiert.

AJ: Sie waren in ihrem Leben in 178 Ländern. Was hat dieses extreme Reiseverhalten mit Ihrer Forschung zu tun?

Maas: Es hat alles damit zu tun. Wer Kulturen lernt, versteht erst, wie stark Normen unser Verhalten und unsere Werte prägen. Ich reise ohne Reisegruppe, ohne den üblichen deutschen Komfort. Ich will sehen, wie Menschen in Syrien, Japan, Indien leben, sprechen, denken. Dort herrschen völlig andere Werte und soziale Strukturen, aber es bleiben immer dieselben Grundfragen: Wohin gehört der Mensch? Wie entstehen Rollen? Wer führt und wer folgt?

AJ: Sie leben seit rund 15 Jahren in Augsburg. Wie erleben Sie die Stadt persönlich und beruflich?

Maas: Augsburg ist wunderbar, aber manchmal auch frustrierend. Wunderbar, weil alles nah ist: Der Lech, die Altstadt, der Fußball, das Eishockey. Es ist eine Stadt mit hoher Lebensqualität. Frustrierend ist es manchmal, weil mir zumindest manchmal das Neue fehlt. Es gibt fantastische Ansätze, aber auch Dinge, die in München, Berlin oder Tokio niemals funktionieren würden.

AJ: Was bringt die Zukunft Ihrer Forschung? Woran arbeiten Sie gerade?

Maas: Nächstes Jahr erscheinen zwei Bücher. Das eine trägt den Titel „Mir ist so langweilig – Warum Eltern keine Entertainer sein müssen – und Frust und digitale Pausen unsere Kinder stark machen“ – es geht um Erziehung der Generation Alpha. Das kommt im Januar 2026. Das andere ist eine Analyse, warum junge Menschen heute empfänglicher für autoritäre Bewegungen werden und wird den Titel „Generation Rechts?“ tragen. Außerdem untersuchen wir gerade generationelle Dynamiken in Indien. Das ist der größte Kultur-Kontrast, den wir je beforscht haben. Ich weiß noch nicht, was dabei herauskommt, aber genau das reizt mich.

AJ: Und zum Schluss: Wie würden Sie sich selbst in wenigen Worten beschreiben?

Maas: Eine Mischung aus Allgäu-Misanthrop und neugierigem Psychologen. Das klingt widersprüchlich, aber diese Spannung ist die Grundlage meiner gesamten Arbeit: Skepsis und Neugierde zugleich.

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