Die einen suchen eine Stelle, die anderen suchen Mitarbeiter. Warum aber will es eigentlich nicht recht klappen, pünktlich zum Beginn des Ausbildungsjahres im Herbst allen ausbildungswilligen jungen Leuten eine Lehrstelle zu vermitteln und allen ausbildungswilligen Betrieben einen passenden neuen Lehrling oder eine Auszubildende? Bei Ulrich Wagner, dem Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Schwaben, haben wir gefragt, was derzeit die Probleme sind.
Augsburg Journal: Herr Wagner, welche Möglichkeiten sieht die Kammer als die vielversprechendsten seitens ausbildungswilliger Firmen an, Auszubildende zu gewinnen?
Ulrich Wagner: Es gibt viele Möglichkeiten in der Nachwuchswerbung. Selbstverständlich braucht es eine entsprechende Präsenz im Internet, speziell auch bei Social Media. Stellenanzeigen auf verschiedenen Plattformen, vor allem auch in unserer Praktikums- und Lehrstellenbörse, sind wichtig. Und die Kooperationen mit Schulen. Hier gibt es seit dem vorletzten Schuljahr den Tag des Handwerks, der für alle Schülerinnen und Schüler aller Schularten, ob Mittelschule, Realschule oder Gymnasium, als verpflichtend eingeführt wurde. Wir bieten in diesem Zusammenhang auch eine Plattform – www.tagdeshandwerksschwaben.de, um Betriebe und Schulen für entsprechende Aktionen und Kooperationen zusammenzubringen.
AJ: Welche Rolle spielt der Umstand, dass bestimmte Berufe inzwischen derart komplex und anspruchsvoll sind, dass sich manche Bewerber sorgen, „zu schlecht“ dafür zu sein?
Wagner: In fast allen Berufen steigen die Anforderungen natürlich. Die Technik wird komplexer, die Einbindung von KI und Robotik, die Digitalisierung an sich nimmt immer mehr zu. Auch die Kundenansprüche wachsen. Und selbstverständlich brauchen wir im Handwerk junge, talentierte Menschen, die die entsprechende Lern- und Leistungsbereitschaft mitbringen. Gute Noten sind dabei wichtig, die Einstellung und das Interesse sind noch wichtiger, damit lässt sich auch die ein oder andere Schwäche kompensieren. Dass Bewerberinnen oder Bewerber sich zu schlecht fühlen könnten, sehen wir nicht. Es sind ja nach wie vor junge Menschen, die da ins Handwerk kommen, und eben Auszubildende, die erstmal lernen müssen und dabei natürlich an die Hand genommen werden. Aus unserer Sicht fehlt den Jugendlichen oft ein passendes Bild vom Handwerk und seinen verschiedenen Berufen. Hier muss mehr Aufklärung und vor allem Berufsorientierung an den Schulen betrieben werden. Auch Lehrerinnen und Lehrer sollten besser informiert werden über das Handwerk. Sie sind nach den Eltern die wichtigsten Ratgeber. Wir fordern daher auch einen verpflichtenden Tag des Handwerks oder ähnliches für Lehrkräfte.
AJ: Welche Rolle spielt in der Region der Umstand, dass Wohnorte der Menschen und Standorte ausbildungswilliger Betriebe nicht zusammenpassen?
Wagner: Wir haben im Handwerk über 130 Ausbildungsberufe, in Schwaben gibt es zigtausende Lehrstellen bei den verschiedensten Firmen und in den verschiedensten Berufen. Noch dazu ist das Handwerk in Städten genauso wie im ländlichen Bereich vertreten. Es sollte also für jeden etwas zu finden sein. Mobilität ist natürlich trotzdem wichtig.
AJ: Wie sehr legt man sich heutzutage mit der Wahl einer bestimmten Ausbildung fest, wie weit ist es – vor allem als junger Mensch – erlaubt, während der Ausbildung in einen anderen Betrieb, in einen anderen Beruf zu wechseln?
Wagner: Es kann natürlich Gründe geben, warum ein junger Mensch die Ausbildungsfirma oder den Ausbildungsberuf wechselt. Das können auch gesundheitliche Gründe sein. Ein Bäckerlehrling, der feststellt, dass er gegen Mehlstaub allergisch ist, beispielsweise. Es kann auch sein, dass es einfach nicht zusammenpasst. Die Möglichkeit, sich nochmal umzuorientieren, gerade in der Probezeit, gibt es. Allerdings sollte daraus kein – ich nenne es mal „Lehrstellen-Hopping“ – werden. Ohne Kontinuität wird sich auch kein Erfolg einstellen und kann auch keine Lehre erfolgreich abgeschlossen werden.
Ulrich Wagner: Das Handwerk ist stark am Thema Ausbildung interessiert
AJ: Inwieweit, meinen Sie, ist überhaupt klar, dass sich eine Ausbildung im Handwerk – ebenso wie in Industrie und Gewerbe – an Absolventen aller Bildungsabschlüsse richtet, nicht nur an Menschen mit und ohne Quali?
Wagner: Gerade mit dem Tag des Handwerks, der sich ja an alle Schularten richtet, zeigen wir, dass das Handwerk Angebote an alle jungen Menschen macht. Und der Anteil an Abiturienten oder jungen Menschen mit Hochschulreife, die eine Ausbildung im Handwerk machen, ist in den letzten Jahren auch gestiegen. Wir müssen die Berufsorientierung weiter intensivieren, damit Jugendliche eine bessere Vorstellung davon haben, wie modernes Handwerk aussieht und welche Aufstiegsmöglichkeiten es gibt. Im Handwerk können es motivierte, talentierte und leistungsbereite junge Menschen innerhalb von wenigen Jahren zum Chef oder zur Chefin im eigenen Betrieb schaffen.
AJ: Verschiedentlich hört man, „die Unternehmen wollen ja gar nicht ausbilden, sondern suchen möglichst junge und damit willige und billige Mitarbeiter“. Eine reine Verleumdung?
Wagner: Das Handwerk ist stark beim Thema Ausbildung und es geht den Betrieben darum, die Fachkräfte von morgen heranzubilden. Wie bereits erwähnt, geht es nicht um einfache Helfertätigkeiten, sondern um anspruchsvolle Aufgaben, die eine ausgebildete Fachkraft übernehmen soll. Viele Betriebe suchen händeringend nach Nachwuchs, damit sie ihren Betrieb zukunftsfest aufstellen können. Sie haben größtes Interesse an einer guten und wertvollen Ausbildung und sicher nicht an billigen Helfern.
AJ: Welche Rolle spielen auf dem hiesigen Ausbildungsmarkt Menschen von auswärts, EU-Ausländer ebenso wie Migranten oder Ukrainer tatsächlich?
Wagner: Vor allem bedingt durch den demografischen Wandel brauchen wir auch Menschen aus dem Ausland in unserem Arbeitsmarkt. Dabei spielt es eine untergeordnete Rolle, wo genau jemand herkommt, sondern mehr, wo er beruflich hinwill und ob er talentiert, motiviert und leistungsbereit ist. Im Handwerk arbeiten schon jetzt viele Menschen mit Migrationshintergrund. Die Betriebe leisten hier auch einen gesellschaftlich-integrativen Beitrag. Einige Betriebe gehen auch direkt in die Akquise im Ausland und versuchen auf diese Weise, die Arbeitskräfte zu bekommen, die sie hier nicht kriegen.
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