Endlich in Spanien: Vorne: Benjamin Schmid Hinten v.l.: Markus Haugg, Michael Hirmer, Masijar Pillevar, Christian Lindenmayer, Simon Socher

Augsburg – Barcelona, eine Strecke von ca. 1400 km, die die meisten von Ihnen wahrscheinlich mit dem Flugzeug bewältigen würden. Wagemutige sogar mit dem Auto, dann aber vielleicht mit einem Zwischenstopp in Frankreich. Anders sechs Freunde aus Kriegshaber und Bärenkeller, die diesen Weg mit dem Rennrad auf sich nahmen. Benjamin, Simon, Christian, Masijar, Markus und Michi.

Als Benjamin Schmid (34), Leiter einer Bankfiliale und Mental-Coach, im November 2021 mit der Idee aufwartete, mit dem Rennrad nach Barcelona zu fahren, war bei allen Beteiligten große Begeisterung zu spüren. Schließlich war die letzte große Radreise nach Rom schon fünf Jahre her.

Aber Barcelona? Von Augsburg aus? In sieben Tagen? Quer durch die Schweiz, durchs Zentralmassiv, die schöne Provence und dem heißen Südfrankreich hinein nach Spanien? Mitten im Hochsommer? Temperaturen von 40 Grad und mehr? War das nicht eine Nummer zu groß? Wie würde die Vorbereitung aussehen müssen, damit alle im körperlich fitten Zustand sein würden? Machbar? Würde der Körper und das Material dieser Belastung standhalten? Wie müsste man sich während einer solchen Tour ernähren? Würde das Team zusammenhalten in gemeinsamer Not? Entsteht etwas wie Teamgeist? Es gab doch viele Fragen, die sich in den Köpfen der sechs Freunde stellten. Auch von Familien und Bekannten kamen Zweifel auf, waren doch sieben Tage mit je ca. 200 km geplant, ähnlich den Tagesetappen einer Tour de France.

Simon Socher (34), erfolgreicher, ruhiger und immer seriöser Autoverkäufer bei der Firma mit dem Stern hoch motiviert beim ersten Treffen im Dezember 2021: „Männer, ich will das machen, ihr auch?“ Mit dieser Aussage wurde er zum Antreiber, zum Motivator. Die Würfel waren gefallen, eine Entscheidung getroffen. Wir fahren nach Barcelona. Mit dem Rennrad.

Acht Monate der Vorbereitung standen vor der Tür.

Christian Lindenmayer (33), Firmeninhaber einer renommierten und hoch angesehenen Trockenbau-Firma in Gersthofen, zögerte nicht lange und installierte in seiner Lagerhalle ein Fitnessstudio, in der wir uns nun drei- bis viermal in der Woche trafen, um unsere Körper auf Vordermann zu bringen. „Rumpf ist Trumpf“, „Schnelle Beine“, „No pain – No glory“ – das waren unsere Leitziele. Spezielle Kräftigungs- und Stabilitätsübungen, Tausende von Kniebeugen, Hunderte Stunden auf dem Ergometer, das alles für unseren Traum. Dabei war es auch Christian selbst, der immer mit größtem Trainingseinsatz voranging.

Masijar Pillevar (41), Key-Account-Manager in einem aufblühenden Augsburger Start-up-Unternehmen, schaffte als einziger in dieser Vorbereitungszeit die magische KM-Anzahl von 7000 km zu knacken. Wind und Wetter im Winter waren ihm egal. „Härtet ab“, gab er zum Besten und grinste dabei voller Vorfreude. Was für eine Einstellung.

Und dann war da noch Markus Haugg, auch „Hauggi“ genannt, mit seinen 52 Jahren der Älteste im Team, früher semiprofessioneller Rennradfahrer, der schon die härtesten Alpenrennen wie den Ötztaler Radmarathon und andere bewältigte und dort seinen Geschwindigkeitsrekord von 111 km/h auf dem Rennrad aufstellte. Solotouren von bis zu 270 km an einem Tag waren seine Art der Vorbereitung. Was konnte einen wie ihn aufhalten?

Michael Hirmer (37), mittlerweile wohnhaft in Steppach und tätig als Grundschullehrer im Landkreis Fürstenfeldbruck, musste schauen, wie er mit seinen hoch motivierten und fitten Freunden mithalten konnte. Es gab nur eine Möglichkeit: Die 80 km in die Schule und zurück mehrmals pro Woche mit dem Rennrad zu fahren. Schüler und Kolleginnen staunten nicht schlecht, als er bei Minusgraden im Februar
mit dem Rad an der Schule vorfuhr. Man munkelt, dass sogar im Sportunterricht das ein oder andere Zirkeltraining mit eingebaut wurde, damit er sich fit halten konnte.

Start der 7-tägigen Reise

Los geht`s

Und dann war der Tag gekommen: 30.07.2022, 7.15 Uhr Treffpunkt in Steppach. Bremsen, Ketten, Mäntel nochmals gecheckt und auf Vordermann gebracht, Proviant in Form von Energieriegel im Radtrikot verstaut, Ersatzkleidung entweder im Rucksack oder in der Satteltasche. Vollgepackt mit Motivation, Adrenalin und Vorfreude rollten wir den Sandberg hinauf, ließen die Sonnenstrahlen unser Gesicht erwärmen und sinnierten über das, was uns wohl die nächsten Tage erwartete. Fachsimpeleien und Expertise wurde ausgetauscht, Hitze und Gegenwind als die größten Schwierigkeiten ausgemacht.

Der erste Tag verging wie im Flug, über Krumbach, Illertissen, Biberach ging es 202 km nach Singen, westlich des Bodensees und nahe der Schweizer Grenze. Benjamin zog den „Fuggerexpress“ wie eine Lokomotive. „Alles easy“, „So kann es weitergehen“, waren Sprüche, die wir uns während Pasta und Pizza beim Abendessen zujubelten.

Der verflixte Zweite Tag

Und so kam es, wie es kommen musste, auf Hochmut folgt bekannterweise der Fall. Vorbei am berühmten Rheinfall in Schaffhausen, quer durch die Schweiz am zweiten Tag, 201 km und 1800 hm nach Murten, westlich von Bern. Das war das Ziel. Erste Diskussionen über die Route, Hitze, starker Gegenwind, ewiges Auf und Ab, mangelnde Verpflegungsmöglichkeiten und ein Sturz von Michi, der sich aber kämpferisch gab und sofort von seinen Teammitgliedern mit Eis und Cola versorgt wurde, setzten dem Team zu. Simon mit seiner ruhigen und ausgeglichenen Art analysierte: „Gott sei Dank ist dieser Tag vorbei!“

 

Es gab auch die ein oder andere Panne.

„Neuer Tag, neues Glück“, dachten wir uns, als es am dritten Tag südwärts Richtung Lausanne, weiter am Ufer des Genfer Sees, quer durch Genf, vorbei am bildhübschen und atemberaubenden MontBlancMassiv bis nach Aix-les-Bains gehen sollte. Wieder 200 km mit ca. 1700 hm. Gut durch Lausanne gekommen, kam es zur ersten Panne. Chris, mit seiner hochmodernen und elektronischen Schaltung konnte auf einmal nicht mehr schalten. Nichts ging mehr. War das das Ende für ihn? Musste er wegen eines Materialfehlers abbrechen? Gott sei Dank konnte Senior-Chef Helmut das Ersatzrad nach Genf bringen und auch so ging es für Chris weiter. An diesem und am nächsten Tag war das Team getrennt, da Simon und Hauggi moralischen Beistand leisteten, die anderen aber weiterfuhren. So war das im Falle einer Panne aber auch abgemacht. An diesem Tag verabschiedete sich auch Iwy, eine Trainingspartnerin von Masijar und Chris und fuhr wieder nach Hause.

Schöne Aussichten unterwegs #roadtobarca2022

Der vierte Tag war dann geprägt vom französischen Zentralmassiv, erst durch glamouröse Wintersportorte wie Chamberry und Grenoble, dann weiter ins Rhone-Tal vorbei an Valence bis nach Montelimar. Mit 220 km die Königsetappe der Tour. Der Mistral, typischer Wind im Rhone-Tal meinte es gut mit uns und blies uns von hinten an. Was für ein Genuss, freihändig mit 35 km/h dem Ziel entgegenzurollen.

Wiedervereint in Richtung Barcelona

Am fünften Tag war dann das Team wieder vereint, aber die Hitze wurde immer stärker. Eiswürfel wurden in den Supermärkten gekauft und ins Trikot und den Radhelm gesteckt, um unsere Körper abzukühlen, Trinken war nun Trumpf. Temperaturen von mehr als 40Grad im Schatten machten uns das Leben schwer. 206 km durch die Provence, vorbei an geschichtsträchtigen Städten wie Avignon, Nimes und Montpellier Richtung Sete am Mittelmeer. Spanien war nicht mehr weit, zum Greifen nahe. Wieder war es Benjamin, der vorne fuhr und uns anderen den Wind nahm. Noch zwei Tage, dann hätten wir das Unmögliche möglich gemacht. Die Vorfreude wuchs ins Unermessliche.

Und so kam es, am sechsten und vorletzten Tag ging es über die Ausläufer der Pyrenäen am Mittelmeerufer vorbei an Beziers, Narbonne und Perpignan nach Spanien. Das erste Mal „Barcelona“ auf einem Schild zu lesen – was für eine Motivation. 213 km waren jedoch noch einmal eine echte Herausforderung, zumal wir uns in den letzten 15 km ordentlich verfuhren und unnötige 700 hm strampeln mussten. Umsonst, da der Weg zu einem Trampelpfad wurde. Nun hieß es Umkehren und
den richtigen Weg finden. Für Masijar doppelt so anstrengend, da er sich an diesem Tag einen Infekt zugezogen hatte und nur mit halber Kraft fahren konnte. Kämpfernatur. Jedoch alles vergessen, als wir die Landesgrenze nach Spanien erreichten und uns endlich mit dem Schild „Espana“ ablichteten. Stimmungskanone Hauggi stimmte dazu das erste Mal den berühmten Hit „Eviva Espana“ an.

Der letzte Tag

Vor der Sagrada Familia in Barcelona. V.l.: Benjamin Schmid, Markus Haugg, Masijar Pillevar, Michael Hirmer, Simon Socher, Christian Lindenmayer

Letzter Tag, 160 km, südwärts durch Katalonien, vorbei an Girona hinein in diese glitzernde, weltberühmte, einzigartige und wunderschöne Stadt Barcelona. Was beim Marathon-Lauf die letzte Runde im Stadion ist, sollte diese Etappe für unsere Reise sein. Ausfahren, Muskeln lockern, den Applaus der Fans genießen, die Leichtigkeit des Seins spüren, sämtliche Schmerzen der letzten Tage waren vergessen. Der Tacho zählt die Kilometer herunter, die spanische Sonne wärmt das Gemüt, die Vororte Barcelonas eilen an uns vorbei, ein letztes Mal abbiegen, durchatmen, nochmal den Schweiß in unseren Trikots riechen, Reißverschluss des Jerseys für die Ziellinie nach oben ziehen, dem lieben Gott „Danke“ sagen und wir stehen vor dem Wahrzeichen Barcelonas, Gaudis faszinierender Sagrada Familia. Was für ein Hochgefühl. Wir haben es geschafft. Angekommen. Einmal quer durch Europa. Nichts kann diesen Moment auch nur annähernd in Worte fassen. Freudentaumel, Umarmungen, Beglückwünschungen, Demut, Dankbarkeit, Stolz.

„No pain – no glory“ – für uns nun nicht mehr nur ein Spruch an einer Wand in einer Lagerhalle, sondern auf einmal ein Gefühl, ein Gedanke, ein Ideal, im Leben alles erreichen zu können, wenn man es nur will.

Was bleibt ist die Erinnerung an eine sportliche Herausforderung, die uns alles abverlangte, an eine wunderbare Zeit, an mentale Tief- und Höhepunkte, an sieben Tage voller Leid, Kampf, Schmerzen, Antrieb, Spaß, Durchhaltevermögen, Teamgeist und v.a. Stolz, das Unmögliche möglich gemacht zu haben.

Bedanken möchten wir uns bei allen, die uns begleitet und täglich durch ihre Nachrichten aufgemuntert und motiviert haben.

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