Schmucke Einfamilienhäuser mit gepflegten Gärten, hier und da eine Villa – und plötzlich stehen da, als seien sie vor langer Zeit vergessen worden, Dutzende von Güterwaggons mit ihrer Patina aus Flugrost und Graffitis unweit des Siebentischwalds in Augsburg. Am Bahndamm sprießt hüfthoch allerlei Grünes, tummeln sich Spinnen – dann und wann wohl auch neugierige Jugendliche.

„Lost Places“, „Vergessene Orte“ werden Plätze wie alte Stollen, verlassene Gewerbehallen, baufällige Häuser genannt, über die es ganze Bücher gibt. Und die vor allem auf junge Leute eine Faszination ausüben. Solch eine Anziehungskraft entwickeln seit einiger Zeit jene Eisenbahnwaggons, die unweit der Haunstetter Straße zwischen den Wohnhäusern und dem Siebentischwald stehen. Wie nicht selten bei mutmaßlichen Lost Places ist aber auch hier nichts vergessen oder ungenutzt. Die Waggons, allesamt leer, seien dort vorübergehend abgestellt, erklärt Helmuth Schmitt, einer der Geschäftsführer der Augsburger Localbahn. Abgestellt so lange, bis sie vom Eigentümer wieder gebraucht und angefordert werden. Um die Waggons jederzeit betriebsbereit zu halten, würden sie, so Schmitt, dann und wann überprüft, an eine Diesellok angehängt, hin- und her gefahren. Wie überall bei Bahnanlagen sei auch hier selbstverständlich, dass diese von Unbefugten nicht betreten werden dürfen. Weder die Gleisanlagen noch die darauf stehenden Waggons seien dauerhaft unbenutzt. Dort Party zu machen, Müll liegenzulassen, gegebenenfalls auf den Waggons herumzuklettern, sei verboten. Und im Falle des Herumkletterns wegen der Gefahr, abzustürzen – für Menschen nicht ungefährlich.

Immer wenige Abstellgleise zu finden, deshalb steht der Geisterzug in Augsburg

Das Problem hinter dem Problem: Europaweit, so Schmitt, wurden und werden immer wieder Gleise herausgerissen, die kaum oder nicht mehr benutzt werden. Entsprechend schwinde jener Platz, beispielsweise in Rangierbahnhöfen, auf dem vorübergehend nicht benötigte Waggons geparkt werden können. Solche wenig oder nicht benutzten Gleise hat die Augsburger Localbahn in ihrem Netz. Beispielsweise nahe der Haustetter Straße. Dort stünden derzeit und immer wieder einmal Waggons, die aktuell „Pause“ haben. Vor allem konjunkturbedingt sinke bei den Gütertransportfirmen in Europa derzeit die Nachfrage nach Transportleistungen. Entsprechend würden weniger Güterwaggons benötigt. Der Markt sehe inzwischen so aus, dass einige große Unternehmen in Europa tätig seien, die zum Teil mehrere zehntausend Waggons besäßen. Diese würden je nach Nachfrage selbst benutzt oder vermietet. Oder auch nicht. Und dann würden von den Eigentümern entsprechend Abstellmöglichkeiten gesucht. Solche biete beispielsweise die Augsburger Localbahn.

Keine Beschwerden durchgedrungen

Je nach der Planung würden die Waggons direkt auf dem Gelände an der Friedbergerstraße bereitstehen oder auf einem der Localbahn-Bahnhöfe. Oder wie der Zug am Siebentischwald. Das dortige Gleis sei nicht das einzige, wo die Localbahn im Stadtgebiet Waggons in die Warteschleife abstellen könne. Es gebe weitere Anlagen, die je nach Bedarf ebenfalls genutzt würden. Direkte Beschwerden über die Zustände an derart geparkten Waggons seien bislang nicht zu ihm vorgedrungen, so Schmitt. Man wisse aber aus der Erfahrung über die Verlockung, die Zugwaggons beispielsweise auf Sprayer ausübten. Vom reizvollen Gefühl zu wissen, dass sein eigenes Graffiti in ganz Deutschland, in Europa gar, unterwegs sei. Was es naturgemäß nicht ist, wenn es auf einem monatelang abgestellten Waggon prange.

Von daher, so Schmitt, erfreuten sich erfahrungsgemäß die ständig genutzten Passagierwagen einer größeren Beliebtheit bei Sprayern. Diese Waggons würden entsprechend sofort wieder von Graffitis gereinigt. Anders die Güterwaggons, wenn sie teils wochenlang auf ihren nächsten Einsatz warteten. Fast keiner sei darunter, so Schmitt, der nicht eine „Verzierung“ tragen würde. Allerdings würden sich die Eigentümer nicht groß sorgen. Bestenfalls wenn technisch etwas an einem Güterwaggon zu machen wäre, würde den Graffitis zu Leibe gerückt. Ansonsten blieben sie dem Spiel der Zeiten überlassen.

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