Der Geruch von Desinfektionsmittel liegt in der Luft, als ich meine Smartwatch ablege und durch die Schleuse trete. Plötzlich ist da dieses Gefühl: fremd, ein bisschen ehrfürchtig – und überraschend ruhig. Ich bin zu Gast im OP-Bereich des Universitätsklinikums Augsburg und darf Patrick Schwelle begleiten, OP-Koordinator und früher selbst im Saal als Operationstechnischer Assistent (OTA) aktiv. Einen Vormittag lang sehe ich durch seine Augen, was hinter den metallenen Türen geschieht.

Zuerst bin ich fast ein wenig überfordert: 25 OP-Säle, dazu vier weitere in Haunstetten, laufen tagsüber parallel, drei auch nachts durchgehend. Wie koordiniert man so etwas? Wie verhindert man Stillstand – oder Chaos? Die Antwort ist: mit guter Struktur, Erfahrung, Kommunikation, Flexibilität und starken Nerven. Patrick Schwelle scheint alles gleichzeitig im Blick zu haben – Pläne, Personal, Patienten. Immer wieder klingelt sein Telefon, immer wieder werden neue Entscheidungen fällig. „Hier ist jeder Tag anders, das ist ein bisschen wie eine Soap Opera, die nie aufhört“, sagt er und fügt an: „Man ist immer gespannt, was als Nächstes passiert.“

Ich darf mit ihm in die Schaltzentrale, wo auf Bildschirmen OP-Pläne, Patientendaten und aktuelle Verläufe sichtbar sind. Alles läuft über das System Orbis, das wie ein digitales Nervenzentrum funktioniert. Hier geht es nicht um Diagnosen, sondern um Abläufe und Saalpläne: Wer wird wann und wo operiert, was wird gebraucht, wer steht bereit – und was tun, wenn plötzlich alles anders kommt?

ein gewohntes Bild: Patrick Schwelle mit Telefon am Ohr.

Der Eingriff beginnt erst, wenn das gesamte OP-Team über Diagnose Bescheid weiß

„Kein Tag läuft hier genau wie geplant, wenn dem so wäre, bräuchte man meine Position überhaupt nicht“, erklärt Schwelle. Allein durch Notfälle, Zeitplanänderungen bei OPs und Komplikationen ergeben sich manchmal mehrere Änderungen gleichzeitig. All das muss in Echtzeit gelöst werden – meist, ohne dass die operierenden Ärztinnen und Ärzte überhaupt davon etwas mitbekommen. „Ich bin der Buhmann, der am Ende oft sagen muss: Diese OP müssen wir leider verschieben. Und damit nicht alle glücklich macht.“

Und trotzdem, oder gerade deshalb, begegnet mir Patrick Schwelle mit viel Ruhe. Zwischen Anrufen, Besprechungen und spontanen Änderungen erklärt er mir immer wieder, was gerade passiert. Gemeinsam mit OP-Manager Marcus Murnauer führt er mich durch den Weg des Patienten. Von der Schleuse, dem Bereich vor dem OP-Saal, bis zum Aufwachraum, in dem Patientinnen und Patienten teilweise mehrere Stunden verbringen. Murnauer erklärt: „Nichts ist im Krankenhaus so teuer wie eine OP-Minute, deshalb ist es essenziell, dass die Patienten rechtzeitig für die Operation in der Schleuse sind.“ Außerdem lerne ich: Jede Operation ist im juristischen Sinne eine Körperverletzung – und darf nur mit absolut wasserdichter Aufklärung und mehrfacher Überprüfung durchgeführt werden. Ich sehe, wie Patientinnen und Patienten über Armbänder, Checklisten und Markierungen verlässlich identifiziert werden können. Dazu gibt es vor jeder OP noch einen sogenannten Team-Time-out. „Bevor der erste Schnitt gesetzt wird, erklärt der Operateur noch einmal, um welchen Patienten mit welcher Diagnose es sich handelt und welcher Eingriff durchgeführt wird. Erst wenn das ganze OP-Team das ebenfalls bestätigt hat, beginnt der Eingriff”, so Murnauer weiter.

Der Einblick verschafft Verständnis für die OP-Abläufe

Nun ist es so weit: Ich erhalte Einblick in mehrere OP-Säle. Bei einer Operation werden einer Frau gerade die Eierstöcke entfernt – sie ist Hochrisikopatientin für Eierstockkrebs. Auf 3D-Monitoren wird der Eingriff durchgeführt, Chirurg und Assistent ausgerüstet mit 3D-Brillen, um noch genauer eingreifen zu können. Wirklich über einem Patienten gebeugt arbeiten existiert wohl nur noch in Arztserien. In einem anderen Saal kann ich auf den Monitoren beobachten, wie der Chirurg sich durch die Pleura eines Patienten arbeitet – ein Lungentumor wird entfernt. Ich erinnere mich an meine eigene Zeit als Raucher. Und daran, wie schnell man vom Beobachter zur betroffenen Person werden kann – ein mulmiger Moment.

Was ich an diesem Tag spüre: Das hier ist ein Ort der Präzision. Aber auch ein Ort der Emotionen. Wer hier arbeitet, muss funktionieren – aber danach auch abschalten können. Für die psychische Gesundheit gibt es im Klinikum das sogenannte PSU-Netzwerk für Psychosoziale Unterstützung. Mitarbeiter können dort mit anderen ausgebildeten Peers sprechen, sollte sie etwas besonders belasten. So erhalten sie kompetente Hilfe von Kollegen, die im gleichen Arbeitsumfeld zu Hause sind und die Probleme daher besser verstehen.

Als ich mich am Ende verabschiede, weiß ich mehr. Über OP-Abläufe. Über Organisation im dauerhaften Ausnahmezustand. Aber vor allem über die Menschen, die dafür sorgen, dass medizinische Höchstleistungen möglich sind. Und ich nehme mir vor: Sollte ich jemals selbst durch diese Schleuse gebracht werden, will ich daran denken, wie viel hinter dem steckt, was für mich vielleicht nur ein kurzer Moment auf einer Liege ist.

Zurück bleibt großer Respekt – und eine neue Perspektive auf das Innenleben der Universitätsklinik Augsburg, die ich bisher nur als Besucher kannte.

AJ-Redakteur Johannes Kaiser (Mi.) mit OP-Koordinator Patrick Schwelle (re.) und OP-Manager Marcus Murnauer (li.).

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