„Gloryhole“ – “BILD-Zeitung“ – „niveaulos“: Nein, wir sind nicht in einer Facebook-Kommentarspelte gelandet. Sondern an der Uni Augsburg. “Augsburg OnStage” probt hier, in einem Hörsaal, und macht gerade das Warm-up. Dort, wo sonst der Dozent steht, üben Philipp Bonaventura, Lucienne Springer, Emily Hornburg, Jennifer Franz, Cécile Nagl, Clara Luttenberger und Claas Henschel von der Theatergruppe ihr Stück “Der nackte Wahnsinn”. Auch das ist Theater in Augsburg.
Obwohl 70 Prozent der gut 30 Vereinsmitglieder Studenten sind, ist die Theatergruppe keine reine Uni-Angelegenheit. Auch andere junge Menschen von 19 bis 37 Jahren sind dabei, erklärt Philipp. Er ist Intendant und Regisseur des Stücks.
Denn nicht nur das Staatstheater erweckt in Augsburg „die Bretter, die die Welt bedeuten“ zum Leben. Auch verschiedene Laientheater ermöglichen es schauspielfreudigen Menschen, sich neben dem Beruf der Theaterleidenschaft hinzugeben. Und dem Publikum einen unterhaltsamen Abend. Das Theater in der Frauentorstraße feierte mit seinem neuesten Stück „Himmelwärts“ aus der Feder von Ödön von Horváth am 22. Oktober Premiere. Augsburg OnStage startet mit der Komödie „Der nackte Wahnsinn“ am 7. November. Wir haben bei den Proben vorbeigeschaut und uns mit den Ensembles über ihre Leidenschaft (die manchmal auch Leiden schafft) unterhalten.
“Augsburg OnStage”: Die einen spielen seit der Kindheit als Hobby Theater, die anderen sind ausgebildete Profis
Bei “Augsburg OnStage” sind ganz unterschiedliche Biografien vertreten: Einige spielen schon von Kindesbeinen an Theater. So auch Regisseur Philipp Bonaventura: Er habe schon in der Schule Theater gespielt, nach dem Abi folgte eine Regie-Hospitanz in Darmstadt. Doch dann führte sein Weg in eine ganz andere Richtung, erklärt er mit einem Lachen: Knapp sechs Jahre BWL-Studium so ganz ohne Theater. Heute arbeitet er bei Schöffel im Bereich Nachhaltigkeit. Aber das Theater ließ ihn nicht los, und weil die Gruppe “So1Theater” mit Corona eingestellt wurde, gründete Bonaventura Augsburg OnStage. “Der nackte Wahnsinn” ist bereits ihr siebtes Stück.
Andere, wie Clara Luttenberger, sind sogar ausgebildet: Sie ist Regieassistenz im Stück und im echten Leben. Sie hat Theaterwissenschaften studiert, war auf einer Schauspielschule, arbeitet jetzt aber in Kinderkrippe. Sie wollte aber wieder Theater spielen.
Für ihre Theaterleidenschaft nehmen sie auch in Kauf, oft müde und erschöpft zu sein. Seit Mai probt die Truppe, erst einmal, jetzt auch zweimal die Woche. Dazu ein Probenwochenende. Mitgliedsbeiträge müssen sie dafür keine investieren. Ist es das wert? Clara Luttenberger: „Wenn der Vorhang aufgeht, war es super. Auch wenn man beim Zurückdenken mit den Zähnen knirscht. Aber es ist ein gutes Gefühl, auf der Bühne zu stehen, und es hat zu 95 Prozent funktioniert.“
Jetzt geht’s erstmal ins ins „Kabuff“, wo die Truppe ihre Requisiten lagert. Hier gibt es nicht nur Tischchen und falsche Beile mit roter Klinge. Während Marcus Rotter, Lucienne Springer und die anderen uns in ihr Reich führen, erklären sie auch, dass sie sich die Garderobe mit einem anderen Verein teilen.
“Theater im Theater”: Welche Vorbilder junge Hobby-Schauspieler aus Augsburg haben
Genauso wie ihre Bühne mit den Studenten und Dozenten. Nachdem dort eine Veranstaltung vorbei ist, ziehen die Theaterleute von “Augsburg OnStage” einige Räume weiter zu ihrer eigentlichen Bühne. Vor der Tafel steht schon das Bühnenbild, ein zweistöckiges Haus. Auftritt Lucienne Springer. Sie spielt im Stück im Stück eine etwas versnobte Dame. „Lucy, ich finds gut, dass du so aufspielst. Aber pass auf, dass die Stimme nicht zu quengelig wird”, mahnt Regisseur Bonaventura von einer der hinteren Hörsaalreihen.
Im Stück haben fast alle ihre eigenen Vornamen behalten. Und noch eine Parallele gibt es, denn schließlich geht es auch im Stück um ein Theaterstück. Wie die Theatertruppe schreibt: “Theater im Theater! Ein Tag vor der Premiere, die Generalprobe läuft. Texthänger, klemmende Türen, verschwundene Requisiten, verlorene Kontaktlinsen und betrunkene Schauspieler. Das Ensemble ist verzweifelt und der Regisseur balanciert am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Aber das Team bemüht sich nach Kräften um Zusammenhalt.”
Da liegt es nahe zu fragen: Erkennt ihr euch in dem Stück eigentlich wieder? Claas Henschel überlegt, sagt dann mit einem Lachen: „Die Grenzen verwischen immer ein bisschen. Zum Beispiel, wenn Feedback von Philipp kommt und man überlegt, ob das echtes Feedback war, kommt das von ihm?” Und auch die ein oder andere Rolle ist nicht so wie im echten Leben. Regisseur Philipp Bonaventura lacht: “Ich kann mich nur von der Rolle des Regisseurs distanzieren! Er ist sehr gemein, hat mehrere Affären im Ensemble.“ Aber er schiebt ein, dass man beim Spielen viele Menschen wiedererkenne. Auch das Konfliktpotential erkenne er wieder: “Zum Beispiel bei der Frage: Wo sind die Requisiten?”
Die jungen Schauspieler haben ganz unterschiedliche Schauspiel-Vorbilder: Laura Lindig zum Beispiel bewundert Eddi Arent aus den alten Edgar Wallace-Verfilmungen. Jennifer Franz etwa Johnny Depp. Menschen, die berufsmäßig schauspielern. Die jungen Theatermenschen sind mit ihrem Hobby aber nicht allein.
Das Theater in der Frauentorstraße ist fast 150 Jahre alt – auch dank der langjährigen Mitglieder
Auch das Theater in der Frauentorstraße (TIF) lebt vom Engagement seiner Mitglieder. Hier besuchen wir bereits die Generalprobe des Stücks “Himmelwärts”. Kostüme und Maske sind heute zum zweiten Mal mit an Bord. Sie üben den Schlussapplaus. Denn auch der muss sitzen. Dann geht es los, einmal das komplette Stück. Hans Oebels als Petrus steht als Opener auf der Bühne, betrachtet sich selbst im Spiegel und liest die Todesanzeigen in der Zeitung. “Ich wollte Petrus bewusst als eitlen, älteren Herrn darstellen”, erklärt Regisseur Klaus Drechsel. Das Stück von Ödön von Horvath sei zwar alt, die Thematik aber zeitlos.
So wie das Theater in der Frauentorstraße: “Nächstes Jahr feiern wir 150-jähriges Bestehen und sind damit vermutlich der älteste Theaterverein Augsburgs”, schreibt etwa Carolin Köhler vom Verein. Los ging es 1885 als “Dramatisches Monatskränzchen”. Zum langen Bestehen tragen auch die Mitglieder bei, erklärt die erste Vorstandsvorsitzende Susanne Ritter: “Wir haben viele Leute hier, die über 70 sind und schon Mitglied, seit sie 16 sind. Eine Handvoll Leute haben sogar mehr als 50 Jahre Mitgliedschaft.” Die mittlere Generation, junge Eltern, sind eher schwächer vertreten, aber sonst sind Jung und Alt beim Theater vereint. Im aktuellen Stück 18 Menschen auf der Bühne, plus diejenigen, die im Hintergrund helfen. Über 60 Mitglieder aus Augsburg und dem Umland sind dabei.
Ein Grund, dabei zu sein, sei laut laut Ritter auch die Gemeinschaft, bei ihr ist die Familie stark vertreten. Der Urur-Opa übrigens auch schon. Köhler kam durchs Theater zum Beispiel zu ihrem Beruf in einer Werbeagentur, weil sie dadurch merkte, dass Marketing etwas für sie sei. Sie fasst die Gemeinschaft so zusammen: „Alle verbindet die Liebe zum Theater.”
Einsatz fürs Theater in Augsburg: Das Publikum gebe einem viel zurück
Wie “Augsburg OnStage” investieren auch die TIF-Mitglieder Zeit in ihr Hobby. Köhler schränkt zwar ein: „Es kommt drauf an, wieviel man machen will. Bei Statisten beschränkt es sich auf die Proben. Aber die ganzen Aufgaben hinter der Bühne müssen auch gemacht werden.“ Wenn man will, sind sie also mehrmals pro Woche eingespannt. Aber das gern, betont Carolin Köhler: “Wenn ich’s nicht wollen würde, würde ich es auch nicht machen.“ Auch das Publikum gebe einem viel zurück, und vor einem kleineren Publikum zu spielen, fühle sich manchmal intimer an. Und obwohl sie keine Förderung vom Staat bekommen, sondern von Spenden abhängen, hätten sie gute Finanzen, auch dank ihrer Kassiererin. Daneben kooperieren sie zum Beispiel beim Bühnenbild mit dem Staatstheater Augsburg.
In der Maske wuselt es auch schon bei der Generalprobe. Michèle Möstel und Christine Süßmilch verwandeln die Schauspieler fleißig in Erd-, Himmels- oder Höllenbewohner. Auf den Tischen liegen große dicke Pinsel. Süßmilch malt Daniel Grassert für seine Rolle dunkle Schatten unter die Augen. Die ausgebildete Make up Artist Möstel ist schon seit 13 Jahren dabei, Süßmilch seit mehr als 40 Jahren. Was reizt sie am Theater? Sie überlegt, während sie Grasserts Frisur noch mit etwas Haarspray fixiert. „Das Drumherum, die Gemeinschaft, die Leute, der Spaß. Wenn man da mal angefangen hat, kann man nicht mehr aufhören“, sagt sie.
Neben zwei Masken hat der Verein auch einen eigenen Kostümfundus. In 150 Jahren hat sich einiges angesammelt, erklärt Susanne Ritter: wie dieser Papagei. Jetzt schauen aber erst einmal alle in die Zukunft und nach oben: Bis zum 12. November läuft ihr Stück “Himmelwärts”.
Außerdem gibt es am Freitag, den 3. November, ein Gastspiel des Stadttheaters Kufstein, eines Partners des TIF.