Ein unbeschreibliches Blutbad, verhindert in letzter Minute. Das Kriegsende in Augsburg: Dramatische Szenen im Befehlsbunker der Wehrmacht am Hohen Weg. Bis zuletzt drohte das totale Verderben für die in Trümmern liegende Stadt durch im Augsburger Westen kampfbereite US-Panzerverbände. Auf Flugblättern wurde die Bombardierung der Stadt durch 2000 US-Flugzeuge angedroht, falls Widerstand geleistet werde. Auch die Nachrichten aus Würzburg und Nürnberg ließen Schlimmes fürchten. „I give you five minutes time to surrender“, lautete das Übergabe-Ultimatum des US-Kommandanten Major O’Connel an Wehrmachtsgeneral Gustav Fehn.
Schauplatz sind die noch intakten Kommunikations-Einrichtungen von Stadtverwaltung, Wehrmacht und NS-Gauleitung unter den Trümmern des Riedingerhauses am Hohen Weg. Fehn will Zeit gewinnen und bittet, ein Blitzgespräch führen zu dürfen. Was Major O’Connel nicht weiß: In Hochzoll und Mering sind noch Einheiten von SS-Männern in Bereitschaft, um Brücken zu sprengen und mit sinnlosen Durchhalte-Maßnahmen ein großes Blutvergießen auszulösen.
Freitod im Nebenzimmer
Während sich der stellvertretende NS-Gauleiter Anton Mündler im Nebenraum in den Kopf schießt, läutet das Telefon. Mit im Bunker sind die Augsburger Dr. Rudolf Lang, Georg Achatz, Franz Hesse und 18 mutige Mitstreiter der unter Lebensgefahr agierenden Augsburger Freiheitsbewegung. Ein Fehn-Adjutant hebt ab, doch so schnell kann er nicht schauen, wie ihm der Hörer von Achatz aus der Hand gerissen wird. Es steht viel auf dem Spiel. Dr. Lang protokollierte den Fortgang des Geschehens so: „Keinen Augenblick waren wir sicher, dass nicht noch von irgendeiner Seite Wehrmachtstruppen herbeieilten. Wir hatten den Amerikanern garantiert, dass wir die Übergabe der Stadt ohne nennenswerte Verluste für die Amerikaner herbeiführen würden.“ Später habe man von US-Offizieren erfahren, dass bei Misslingen der Aktion alle unweigerlich erschossen worden wären.
„One minute“ wollte O’Connel noch warten. Während alle auf den Sekundenzeiger starrend den Ablauf der Minute abwarteten, griff General Fehn nach seiner Pistole, die ihm jedoch gleich aus der Hand geschlagen wurde.„The time is over, General get up“, befahl der US-Colonel. Die anwesenden Amerikaner, Fehn, seine Stabsoffiziere und ein Teil der Augsburger Freiheitskämpfer verließen den Bunker.
Auf der Straße musste Fehn überrascht feststellen, dass es nur eine kleine Anzahl amerikanischer Soldaten und eine kleine Kampfgruppe der Freiheitsbewegung war, die es schaffte, ihn und seinen Stab zu überrumpeln und gefangen zu nehmen. Kurz nach der Festnahme läutet erneut das Telefon. Eine Wehrmachts-Kampfeinheit wartet auf neue Einsatzbefehle des Generals. Freiheitskämpfer Friedrich Rüggenberg, der konspirative Kontakte zu englischen Streitkräften hat, erklärt hierauf: „General Fehn und sein Stab wurden in die Gefangenschaft abgeführt. Sie haben Augsburg und die Garnison übergeben. Alle Truppen haben sich damit jeder Kampfhandlung zu enthalten und die für sie erreichbaren Einheiten über diesen Tatbestand sofort zu unterrichten.“ Damit fiel am Morgen des 28. April 1945 der letzte Vorhang über die zwölf Jahre der „tausendjährigen“ Nazi-Herrschaft in Augsburg.
Freiheitskämpfer: Kein Dank für die Helden
Es waren die Ereignisse im Riedinger-Bunker, die weiteres großes Unheil erspart haben. Den Helden, die mit vorbildlicher Zivilcourage ihr Leben riskierten, dankte man weder mit Bürgermedaillen noch mit Verdienstkreuzen. Im Gegenteil: Anfang der Nachkriegszeit galten sie in bestimmten Kreisen noch als Vaterlandsverräter und Befehlsverweigerer. Wenigstens an dieser Stelle nennen wir – 80 Jahre danach – ihre Namen: An der Spitze der „Parlamentärs-Gruppe“ standen Anton Setzer, Direktor der Blindenschule, und Dr. med. Rudolf Lang, Oberarzt am Hauptkrankenhaus. Die Diözese vertraten Prälat Dr. Josef Hörmann und Domkapitular Rampp. Aktive Mitglieder waren der Kaufmann Franz Hesse, Georg Achatz, der Sänger Friedrich Rüggenburg, Amtmann Karl Eckl und sein Sohn, Kuka-Direktor Walter J. Gladitz, Pfarrer Alois Vogg, Dr. med. Roeck, der damals 19-jährige Hubert Rauch, Anton Kaiser und viele andere.
Fall für Erinnerungs-Werkstatt?
Die konspirativen Treffen fanden immer unter extrem schwierigen Umständen statt. Waffen hatte man sich aus einem Depot des Volkssturms „organisiert“ – aber nur für den Notfall. Offensiver Einsatz der Kriegsgeräte wurde abgelehnt. Wie später bekannt wurde, wussten sowohl der damalige NS-Oberbürgermeister Mayr wie auch NS-Gauleiter Karl Wahl von der Existenz der „christlich-demokratisch orientierten Übergabe-Aktivisten“. Im sogenannten Entnazifizierungs-Verfahren der Amerikaner wurde es ihnen positiv angerechnet, nicht nach dem andernorts mit verheerenden Folgen exekutierten „Himmler-Keitel-Bormann-Erlass“ gegen die Freiheitsgruppe vorgegangen zu sein. Jetzt gibt es, unterstützt von der Stadt, seit 2012 eine sogenannte Erinnerungswerkstatt, bestehend aus Initiativen, Institutionen und Privatpersonen. Nach eigener Zielsetzung sollen Biografien von Opfern der Nazi-Herrschaft erforscht und die Erinnerung an sie wach gehalten werden. An die Helden vom Riedinger-Bunker hat man leider noch nicht gedacht.
Das „Alliierte Nachrichtenblatt“ verkündete in einer Sonderausgabe vom 9. Mai 1945 das Ende des Krieges im Raum Schwaben.
Öffentliche Aufforderung vom 8. Mai 1945 an alle Wehrmacht-Soldaten zur Meldung bei den von der amerikanischen Besatzungs-Armee eingerichteten Behörden.
Lesen Sie auch: Die Geister, die die Puppenkiste rief: Neue Ausstellung mit Gruselfaktor