Es ist der Traum vieler junger Frauen, die von einer großen Bühnenkarriere träumen: Auf der Straße „entdeckt“ zu werden! Die Augsburgerin Marianne Hettinger hatte diesen Traum auch, als sie vor über 40 Jahren als Teenager alleine nach New York City ging, um ihr Leben ganz dem Schauspiel und Tanz zu widmen. Als sie vom Oscar-nominierten Starregisseur James Toback dann tatsächlich auf einer Straße in New York angesprochen wurde, schien der Traum in Erfüllung zu gehen – bevor er zum Albtraum wurde: Missbrauch, Todesangst, Ohnmacht. Erst jetzt, Jahrzehnte später, erfährt Marianne Hettinger „Heilung“, wie sie sagt. Gemeinsam mit anderen Betroffenen hat sie gegen den heute 80-jährigen Toback eine Sammelklage mit einer Gesamtstrafe von 1,7 Milliarden Dollar gewonnen. Ob die heute 62-jährige Augsburgerin ihren Anteil von 42 Millionen Dollar jemals erhält, ist fraglich. Der Verurteilte streitet weiterhin seine Schuld ab. Dennoch hat der positive Ausgang des Verfahrens eine große Last von den Schultern der längst erfolgreichen Künstlerin genommen. Dem AUGSBURG JOURNAL hat sie ihren Schicksalsbericht in solch bewegenden persönlichen Worten zukommen lassen, dass wir ihn unseren Lesern im Original präsentieren möchten – mit allen verstörenden Details.
Ich ging allein als Teenagerin aus Deutschland in den 1980er Jahren nach New York City und verfolgte einen Traum – in die Fußstapfen von Gene Kelly zu treten. Ich hatte wenig Geld – meine Eltern gaben mir nur den Bafoeg-Satz von rund 230 Dollar im Monat – und keine Kontakte, was ich nicht als Hindernisse sah. Zunächst lebte ich auf der Upper West Side Manhattans mit sechs Personen in einer Ein-Zimmer-Wohnung, schlief unter einem Küchentisch neben einem Mülleimer, benutzte ein Handtuch als Decke und studierte Shakespeare auf der Toilette – der einzige ruhige Ort, bis jemand anklopfte.
Ich gewann Stipendien für das National Shakespeare Conservatory und machte erste Schritte am Broadway; ich verfolgte meinen Traum, Schauspielerin und Tänzerin zu werden, mit unerschütterlichem Enthusiasmus. Mit 19 schrieb ich ein Theaterstück, in dem ich eine 53-jährige Frau mit Krebs portraitierte, das ich mit viel Erfolg in einem kleinen Theater Off-Off-Broadway (Anmerk. d. Red: kleiner als Broadway- und Off-Broadway-Theater, i.d.R. unter 100 Sitzplätze) aufführte. Bis zu dem Tag, an dem James Toback mich auf der 72nd Street am Broadway aufhielt.
Er sprach von einer Hauptrolle
Er war imposant und bärtig, stellte sich als Oscar-nominierter Regisseur vor und zeigte seine Directors Guild of America-Karte. „Du hast etwas Besonderes“, sagte er. „Ich möchte dich in meinem neuen Film haben.“ Ich war skeptisch, aber er bestand darauf – und lud mich in seine Wohnung in Tower 67 ein. Ich ging nicht nach oben mit, sondern wartete in der Lobby, während er Artikel über seine Filme mit Schauspielern wie Robert Downey Jr., Heather Graham, Julianne Moore, Warren Beatty und Alec Baldwin herunterbrachte. Er sagte, er hätte mit Nastassja Kinski gearbeitet – und ich sei mindestens so hübsch.
Am nächsten Tag war ich am Set seines Dokumentarfilms „The Big Bang“. Sein Regiestil wirkte sensibel, sogar sanft. Im Laufe des nächsten Monats flößte er mir Vertrauen ein – lud mich in Restaurants ein, sprach über Hollywood, lobte mein Potenzial und versprach, dass er eine Hauptrolle nur für mich schreiben würde.
Dann, eines Tages, änderte sich alles. Er sagte: „Du musst sexuell hemmungslos sein, wenn du ein Star sein willst. Alle Schauspieler*innen, mit denen ich arbeite, tun das. Du musst mir blind folgen.“ Er wollte, dass ich vor ihm masturbierte; ich sagte „Nein“. Ohne Vorwarnung hat er mich dann sexuell angegriffen; er sagte, er müsse 15 bis 17 Mal am Tag „kommen“ – und es sei gleich vorbei. Er hat mich festgehalten, sich an meinem Bein gerieben und sich selbst befriedigt. Ich erstarrte und hatte Angst, er würde mir den Hals brechen, falls ich mich wehrte. Ich fühlte mich taub und konnte nicht verarbeiten, was passiert war. Zuvor hatte er mir erzählt, dass er einmal einen Mann mit einem Baseballschläger getötet hätte, Mafia-Verbindungen hätte und warnte mich, dass er mein Studentenvisum widerrufen lassen könne.
Damals gab es noch kein Internet. Ich dachte, ist es das, was man tun muss, um es in Hollywood zu schaffen? Ich fühlte mich gebrochen, jahrelang hatte ich an der Kunst des Tanzens und Schauspiels gefeilt. Jetzt fühlte ich mich taub. Ich schlug Chancen aus – darunter Modelangebote von John Casablancas bei Elite, der Claudia Schiffer, Cindy Crawford und Heidi Klum zu Top-Models gemacht hatte und mir sagte, ich hätte dasselbe Potenzial. Auch Schauspielrollen von Murphy Brown-Produzent Gary Dontzig in Los Angeles. Ich wollte einfach nur verschwinden. Mein Selbstwertgefühl war am Boden. Und dann ging ich doch wieder zu ihm, als er sagte, er hätte die 1500 Dollar, die er mir für meinen Auftritt in seinem Dokumentarfilm schuldete. Auch habe er jetzt die Rolle für mich geschrieben, die er mir und nicht Nastassja Kinski geben würde, weshalb sie ganz eifersüchtig gewesen sei. Als ich dann zu ihm ging, sprach er erst eine Stunde mit mir – und versuchte dann wieder, mich sexuell anzugreifen. Dieses Mal war ich vorbereitet und rannte aus der Wohnung. Es war auf dem 32. Stock und ich drückte verzweifelt alle Lift-Knöpfe. Doch er war schneller, hatte mich eingeholt, mich gegen die Wand gedrückt – mit seinem vollen Gewicht – und sich an mir vergangen.
Mehr als 400 Frauen betroffen
Danach stürzte ich mich ins Tanzen – wo zumindest die Casting-Couch weniger wahrscheinlich war – und half Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt waren. Dabei habe ich sogar ein Leben gerettet. 2017, nachdem ich meine eigenen Filme gedreht hatte – darunter „Prince Harming“- über häusliche Gewalt – fand ich endlich den Mut, bei der Polizei einen Bericht gegen Toback einzureichen.
Im gleichen Jahr veröffentlichte Glenn Whipp von der Los Angeles Times einen Artikel, der Tobacks lange Geschichte als Sexualtäter enthüllte. Mehr als 400 Frauen meldeten sich. Im Jahr 2022, als der Staat New York den „Adult Survivors Act“ verabschiedete, der die Verjährungsfrist für Ansprüche bei sexuellem Missbrauch für ein Jahr aufhob, schloss ich mich einer Zivilklage mit 39 anderen Überlebenden an. In diesem Frühjahr 2025 gingen wir vor Gericht. Acht Tage lang haben 20 von uns persönlich ausgesagt. Es war schwer, über solch demütigende und schmerzhafte Momente zu sprechen. Aber unsere Anwaltskanzlei war unglaublich, und wir Klägerinnen fühlten uns einander tief verbunden. Ich umklammerte mein Tagebuch von 1988 mit zitternden Händen, als ich es der Jury vorlas. Am 9. April 2025 sprach die Jury uns 1,68 Milliarden US-Dollar – jeweils 42 Millionen US-Dollar – Schadenersatz zu. James Toback ist am Schluss nicht vor Gericht erschienen.
Marianne Hettinger: „Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen“
„Man fühlt sich angehört und respektiert, wenn man darüber sprechen kann“, sagte ich der Los Angeles Times. „Wir hatten uns alle so geschämt. Du redest einfach nicht darüber, nicht einmal mit deiner Familie. Aber mit solcher Menschlichkeit gehört zu werden und dann dieses Urteil, diese Auszeichnung zu erhalten – das fühlt sich so heilend an.“
Das Urteil stellte meinen Glauben an die Menschheit wieder her. Das Gute triumphierte über das Böse. Ich habe meine Seele zurückbekommen – eine Seele, von der ich das Gefühl hatte, dass er ein Stück davon genommen hatte, als er mich angegriffen hat.
Ob Toback jemals einen Cent zahlt, ist zweifelhaft, aber ich fühle mich, als ob mir ein Stein vom Herzen gefallen ist. Dieses Urteil ist symbolisch. Es bedeutet, dass wir wichtig sind. Gerechtigkeit wurde getan. Und wir senden eine Botschaft: Niemand in einer Machtposition hat das Recht, sie zu missbrauchen. Nicht mehr. Mehr Infos unter: www.mariannehettinger.com
Aktuell tanzt Marianne Hettinger auch in der neuen Gesellschaftstanz-Serie in NYC „Happy Feet Dance Project”
und vollendet ihren argentinischen
Tango-Musikfilm „Hyperion Project”.
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