Überstunden-Desaster

Aufreger der Woche Offene Fragen um Merkles 230.000 Euro-Anspruch

Das sind zwei von vielen offenen Fragen bezüglich der Überstunden von Baureferent Gerd Merkle. Wie berichtet fordert er knapp 230.000 Euro Nachzahlung für rund 4900 Stunden, die er vor seiner Zeit als Stadtminister von 1994 bis 2008 über die normale Arbeitszeit hinaus geleistet habe.
Unsere Beispiele links zeigen, wie nahezu wortgenau ein Frage-Antwort-Spiel mit der Stadt Augsburg läuft, die (seit man die Öffentlichkeitsabteilung deutlich verstärkt hat) nur mehr schriftliche Anfrage zulassen will, was Nachfragen erschwert. Wäre das hier ein Kommentar, müsste man angesichts der gegebenen Antworten wohl zu dem Schluss kommen, der Stadt liege nicht viel daran, detailliert aufzuklären, wie es zu diesem immensen Überstundenberg kommen konnte und ob das alles rechtens ist.
Bleibt also nur, den Vorgang selbst zu analysieren und nebenbei unverständliche Kürzel aufzuklären wie TVöD, was für „Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst“ steht. Offenbar können erst seit der städtischen Dienstvereinbarung von 2011 pro Jahr maximal 120 Überstunden geltend gemacht werden, davor waren folglich mehr möglich. Im Fall Merkle werden in 15 Jahren jährlich im Schnitt 325 Überstunden geltend gemacht, also fast das dreifache der später erlaubten Mehrarbeit. Insgesamt entsprechen die 4900 Überstunden einer normalen Arbeitszeit von drei Jahren.
Wie das sein kann? Die Frage wird umso brisanter, schaut man in den zunächst noch geltenden Tarif BAT. Dort steht u.a. „Gelegentliche Überstunden können für insgesamt sechs Arbeitstage innerhalb eines Monats vom unmittelbaren Vorgesetzten verlangt werden. Andere Überstunden sind vorher schriftlich anzuordnen.“
Und weiter: „Überstunden sind grundsätzlich durch entsprechende Arbeitsbefreiung auszugleichen, die möglichst bis zum Ende des nächsten Kalendermonats, spätestens bis zum Ende des dritten Kalendermonats erfolgen muss.“ Auch im nachfolgenden Tarifvertrag (TVöD) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Überstunden angeordnet werden müssen.
So gesehen hat Merkle womöglich nur seine Pflicht getan und Anordnungen seiner damaligen Vorgesetzten befolgt. Bleibt also die Frage, kann man diese Chefs noch belangen, falls sich ein Fehlverhalten herausstellen sollte. Vermutlich sind solche Verfehlungen aber verjährt, im Gegensatz zu Überstunden nach (Achtung: noch ein Kommentar) Augsburg spezifischer Manier.
Der Blick in Leserbriefspalten wie auch Mitteilungen der Rathaus-Opposition zeigen, dass viele mit bisherigen Erklärungen nicht zufrieden sind. Für die Bürgerliche Mitte und die soziale Fraktion (SPD/Linke) ist die Debatte über die Überstunden nicht beendet. Vielmehr werden Aussagen von OB Eva Weber zurückgewiesen, die Diskussion der pikanten Details in der Öffentlichkeit seien ein Schlag ins Gesicht aller Beschäftigten der Stadt. „Es hat bei OB Weber Methode, Kritik der Opposition an der schwarz-grünen ‚Stadtregierung‘ zu Angriffen auf die Mitarbeiter*innen der Verwaltung umzudeuten. Dies ist ein durchsichtiger Versuch, von der Frage abzulenken, wie ein Beschäftigter der Stadt so viele Überstunden anhäufen und sich diese teilweise 20 Jahre später auszahlen lassen kann und vor allem, wer die Verantwortung dafür trägt.“
Zum Abschluss noch ein Blick auf ein Telefon-Interview der Internetzeitung DAZ mit Alt-OB Paul Wengert, der von 2002 bis 2008 am Lech regiert hat und selbst Jurist ist. Er sei sich „ziemlich sicher, dass es in meiner Amtszeit keine Dienstvereinbarung gab, die es 2022 jemand ermöglicht, auf Überstunden zurückzugreifen, die teilweise 28 Jahre zurückliegen. (…) Herr Merkle hätte seine Ansprüche spätestens nach der Beendigung seines Anstellungsverhältnisses durch die Wahl zum berufsmäßigen Stadtrat erledigen müssen, also im Mai 2008.“
Wengert hält es für unwahrscheinlich, dass Dienstvereinbarungen rückwirkend Ansprüche ermöglichen. „Jeder Anspruch verjährt irgendwann (…) auch z.B., wenn jemand Ansprüche lange Zeit gar nicht geltend macht. Und dann gibt es ja noch den Grundsatz von Treu und Glauben…“

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