Im Boxen ist es in der Regel eigentlich ganz einfach: Wer mehr trifft, härter zuschlägt und den Gegner dominiert, gewinnt. So sollte es zumindest sein. Doch beim Kampf um die Deutsche Meisterschaft im Halbschwergewicht am Samstagabend in Ulm kam alles anders. Was sich im Ring zwischen „Wahl-Gersthofer“ Kushtrim Tahirukaj und Fredi Knorpp abspielte, sorgte für ungläubiges Kopfschütteln – und wird wohl noch lange als Skandal-Urteil in Erinnerung bleiben.
Tahirukaj, betreut vom ehemaligen Augsburger Boxweltmeister Robin Krasniqi, ließ in dem auf zehn Runden angesetzten Kampf kaum Zweifel aufkommen. Der 26-Jährige dominierte seinen Gegner, kontrollierte das Geschehen, landete deutlich mehr Treffer und schien der klare Sieger. Als die letzte Runde vorbei war, streckte er siegessicher die linke Hand gen Decke – doch kurz darauf wich der Siegesjubel fassungslosem Entsetzen. Das Urteil: ein Unentschieden. Ein Punktrichter wertete alle zehn Runden zugunsten Tahirukajs, die beiden anderen sahen ein Remis. In der Halle brandeten Buhrufe auf, im Ring standen die Beteiligten wie versteinert. Die Fassungslosigkeit war greifbar.
Robin Krasniqi: Dubiose Urteile schaden Sport
Selbst Timo Schwarzkopf, Promoter des Abends und Förderer des deutlich unterlegenen Fredi Knorpp, nahm kein Blatt vor den Mund: „Es war ein sehr deutlicher Kampf, ich muss ehrlich zugeben: Kushtrim hat den Kampf gewonnen.“ Dass selbst der Gegnerpromoter so deutlich wurde, spricht Bände. Auch Robin Krasniqi war sichtlich erschüttert – nicht nur sportlich, sondern auch persönlich. „Mir tut das sehr weh. Das Boxen in Deutschland macht sich durch solche Urteile selbst kaputt“, sagte er im Ring und im Gespräch mit dem Augsburg Journal REPORTER. „Kushtrim ist mein Cousin, er ist vor zwei Jahren extra aus Hagen nach Augsburg gekommen, um seine Karriere bei mir voranzutreiben. Er trainiert wie ein Wahnsinniger – und dann passiert so etwas. Das darf einfach nicht sein.“
Auch Timo Schwarzkopf (li.) gab nach dem Kampf im Interview mit Roman Roell (Mitte) und vor den Augen von Robin Krasniqi (re.) unumwunden zu, dass das Urteil so nicht korrekt sei.
Eine Beschwerde beim Bund Deutscher Berufsboxer (BDB) ist bereits eingereicht worden. Doch den Weg vor Gericht, wie einst nach seinem umstrittenen WM-Kampf gegen Dominic Bösel, will Krasniqi nicht noch einmal gehen. „Ich habe die Energie nicht, das alles durchzuziehen. Der Kampf war ein klares 10:0 – und sie machen ein Unentschieden daraus. Unfassbar.“
Nicht nur der sportliche Ausgang war fragwürdig – auch der Ablauf der Urteilsverkündung war ungewöhnlich. Der deutschlandweit bekannte Augsburger Ringsprecher Roman Roell, ein Routinier mit fast 40 Jahren Erfahrung bei Radio und Fernsehen, war ebenfalls fassungslos. „So etwas habe ich noch nie erlebt. Es war absolut unfassbar“, sagte er dem AJ REPORTER. Roell hat in seiner Rolle als Ringsprecher u.a. für das „Boxen im Ersten“ schon viele Kämpfe begleitet – doch dieser stach heraus. „Normalerweise bekomme ich die Wertungszettel der Punktrichter vorab, diesmal hat mir ein Richter seinen erst später im Ring überreicht. Erst habe ich mir noch nichts dabei gedacht – mittlerweile irritiert mich das sehr.“
Siegessicher – dann die Enttäuschung
Roell erlebte die dramatischen Szenen hautnah mit, als Tahirukajs Ehefrau nach der Urteilsverkündung in Tränen ausbrach: „Die war völlig am Boden zerstört. Ihr Mann hat alles gegeben, und dann passiert so etwas.“ Auch für Krasniqi ist das mehr als nur ein sportliches Ärgernis: „Ein Kämpfer gibt alles, verzichtet auf vieles, und wird dann mit so einer Entscheidung abgestraft. Das kann im schlimmsten Fall schwerwiegende Folgen haben – psychisch, sportlich, menschlich.“
Tahirukaj und Knorpp hatten beide eine makellose 7:0-Bilanz vor dem Kampf, entsprechend hoch war die sportliche Relevanz. Umso bitterer ist das Urteil, das laut Krasniqi ein weiteres Beispiel dafür sei, warum das deutsche Profiboxen international an Bedeutung verliert. „Die Siege werden oft einfach verteilt, wie man will. Deshalb sieht man im deutschen Fernsehen kaum noch Boxübertragungen. Das Vertrauen ist verloren gegangen.“ Für ihn steht fest: Nur durch konsequente Professionalisierung – gerade bei der Auswahl der Punktrichter – kann sich der Sport retten. „Es darf keine dubiosen Urteile mehr geben. Jeder Kämpfer muss gleich gesehen werden – und der bessere muss gewinnen.“
Auch Schwarzkopf, der nach dem Kampf eine Wiederholung der Videoanalyse vorschlug, wollte sich Tage später zunächst nicht mehr öffentlich äußern: „Ich muss mir das Video des Kampfes erst noch einmal in Ruhe anschauen.“ Sollte sich die Dominanz Tahirukajs bestätigen, schließt er weitere Schritte jedoch nicht aus. „Ein Urteil zu ändern ist schwierig, aber wir werden nachhaken.“ Eine Möglichkeit wäre, den Kampf zum „No Contest“ zu erklären – das würde bedeuten, dass er nicht gewertet wird und aus der offiziellen Bilanz der Boxer gestrichen wird.
Robin Krasniqi wittert Verschwörung
Derweil bleibt offen, wie der BDB mit dem Fall umgehen wird. Die Brisanz liegt nicht nur im Urteil selbst, sondern auch im länger schwelenden Konflikt zwischen dem Verband und dem Team Krasniqi. Es ist nicht das erste Mal, dass es zwischen den beiden Lagern zu einem Eklat kommt. Robin Krasniqi sieht die Entwicklung mit Sorge – und blickt dennoch kämpferisch nach vorn. „Ich werde weiter für Gerechtigkeit kämpfen, nicht für mich, sondern für Kushtrim. Ich verstehe nicht, warum sie so gegen mich und mein Team arbeiten – aber ich mache trotzdem weiter.“
Nach dem plötzlichen Tod seines Vaters im vergangenen Jahr hatte sich Krasniqi zurückgezogen, will nun aber wieder angreifen: „Ich denke, dass ich noch ein paar Mal in den Ring steigen werde.“ Sein Antrieb bleibt dabei derselbe wie immer: der Glaube an den fairen Sport. „Das Wichtigste ist, dass der bessere Kämpfer gewinnt. Alles andere zerstört das Vertrauen – und am Ende den ganzen Sport.“
Bleibt nur die „Flucht“ nach Österreich?
Für ihn ist auch klar: Wenn sich beim BDB nichts ändert, bleibt fast nur noch der Weg über den österreichischen Verband – ein Schritt, den auch andere große Boxställe wie Sauerland bereits gegangen sind. „Wenn Urteile bei uns immer wieder so zustande kommen, dann bleibt einem als Sportler kaum etwas anderes übrig“, so Krasniqi. „Ich habe immer für Deutschland gekämpft und werde das auch weiter tun. Aber irgendwann muss man sich fragen, ob man unter solchen Bedingungen überhaupt noch eine faire Chance bekommt.“
Traf seinen Gegner oft und klar: Kushtrim Tahirukaj (re.) Foto: Sahin Gülay
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