Brecht, Fugger, Mozart sind großartig. Doch die stärkste Marke unserer Stadt ist noch immer die Augsburger Puppenkiste

Augsburg lag in Trümmern. Bert Brecht war in Ost-Berlin, die Fugger und Leopold Mozart vergessen. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor sich die einst stolze Reichsstadt Augsburg im bedeutungslosen Nirwana.

Nur ein paar unentwegte Augsburger Kulturschaffende hatten etwas dagegen. Sie wollten Aufbruch. Walter Oehmichen, seine Frau Rose, die Töchter Hannelore und Ursel starteten 1948 in einer Stadt, die am Rande zur Depression stand, die „Augsburger Puppenkiste“. Jetzt, am 26. Februar 2023, feiert das herrlich unschuldige Kinder-Showtheater in der Augsburger Spitalgasse 75. Geburtstag.

Leider hat die Puppenkiste mit ihren knuffigen Holzfiguren Federn gelassen. Sie ist nicht recht angekommen in der digitalen Welt des 21. Jahrhunderts. Vielleicht wird sie ihren 100. Geburtstag auch gar nicht mehr erleben. Aber dennoch ist das Theater für Kinderherzen das Beste, was Augsburg im 20. Jahrhundert passieren konnte. Denn als niemand außerhalb der Stadtmauern Augsburg mehr auf dem Schirm hatte, da startete 1953 die TV-Karriere der Augsburger Puppenkiste. Jedes deutsche Kind der Nachkriegsgeneration fieberte mit Jim Knopf und kannte dieses wunderbare Lied: „Eine Insel mit zwei Bergen. Und dem tiefen, weiten Meer. Mit vier Tunnels und Geleisen. Und dem Eisenbahnverkehr. Nun, wie mag die Insel heißen? Ringsherum ist schöner Strand. Jeder sollte einmal reisen. In das schöne Lummerland.“ Dank des FC Augsburg hat die Melodie überlebt. Sie wird nach jedem Augsburger Tor in der jubelnden WWK-Arena gespielt. Die Tor-Hymne aus der Puppenkiste ist das Profil-Lied unserer Stadt. Wenn es gespielt wird, denkt jeder an: Augsburg. Doch den Text kennt kaum noch jemand. Das war früher anders.

Aus der Augsburger Puppenkiste kommt die Tor-Hymne des FCA

Im zweiten Teil des vergangenen Jahrhunderts waren die Marionetten-Stars aus Augsburg ein Straßenfeger. Urmel kam aus dem Eis und der Spielplatz war leer. Junge Menschen heute können sich nicht vorstellen, dass die Helden der Puppenkiste für Nachkriegsgeborene ein unvergessliches Stück Kindheit sind. Die erste TV-Show „Peter und der Wolf“ führten die Puppenspieler damals live beim Nordwestdeutschen Rundfunk in Hamburg auf – in Schwarz-Weiß und in einer Kulisse aus Papier.


Es folgten mehr als 150 Produktionen der Augsburger Puppenkiste im Hessischen Rundfunk (HR): Jim Knopf, Lukas der Lokomotivführer, der Löwe, das Urmel, Kater Mikesch, Schlupp vom grünen Stern – so viele liebenswerte Holzköpfe aus der Fuggerstadt wurden für Millionen Kinder zu Helden.

Kaum erwarten konnten sie es, bis sich im Fernseher die braun gemaserten Holztüren mit dem Schriftzug „Augsburger Puppenkiste – Oehmichens Marionetten Theater“ langsam öffneten und zur Reise etwa nach Lummerland einluden. Das war Gänsehautfernsehen pur – für Kinder.

Augsburger Puppenkiste bekannt an der Strandbar von Bibione


Die Puppenkiste war der wichtigste Augsburger Exportschlager. Wenn man im Italien-Urlaub gefragt wurde, woher man denn komme und Augsburg antwortete, hörte man bis ins neue Jahrtausend nicht: Ah, FC Augsburg. Oder die Stadt von Brecht, Fugger oder Mozarts Vater. Man hörte: „Puppenkiste“. Mehr wusste der Urlaubsfreund von der Strandbar in Bibione nicht von Augsburg.
Das Erfolgsgeheimnis erläuterte Klaus Marschall, der die Augsburger Puppenkiste als Enkel von Gründer Walter Oehmichen in dritter Generation führt, einmal so: „Wir bieten ein unfertiges Bild an, das der Zuschauer mit seiner Fantasie vervollständigen muss.“ Dies sei der ungebrochene Reiz dieser Inszenierungen. „Wir wackeln mit einem Stück Holz, der Rest passiert im Kopf.“


Aber nach der Jahrtausendwende verblasste die Strahlkraft der Puppenkiste. Das Internet bestimmte das Medientempo. Schnelle Schnitte, Reizüberflutungen waren nicht das Ding von Urmel, Jim Knopf und Lukas, dem Lokomotivführer. 2011 war dann auch Schluss mit Fernsehen. Sogar der Kinderkanal KiKa warf die wunderbaren Puppen als „nicht mehr zeitgemäß“ aus dem Programm.


„Wir müssen ehrlich zugeben, dass wir mit dem heutigen TV nicht mehr mithalten können – es auch nicht wollen“, sagte Klaus Marschall vor einigen Jahren. Heute müsse es immer schnell gehen, krachen, flimmern, Handlungen wie Figuren seien austauschbar. „Wir aber wollen in ruhigen Bildern erzählen, damit Kinder der Geschichte folgen, alle Einzelheiten wahrnehmen und Fantasie entwickeln können.“


Live im Theater in der Spitalgasse lebt die Puppenkiste weiter. Und das Haus ist oft ausverkauft. Am 26. Februar 2023 begeht das Marionetten-Theater den 75. Geburtstag mit der Premiere von „Rapunzel“. Ab 16. März ist zudem eine große Jubiläumsausstellung im Augsburger Puppentheatermuseum geplant, in der man dann Jim Knopf und allen anderen Holzkopf-Helden wieder begegnen kann.
Wie stark die Marke „Augsburger Puppenkiste“ 75 Jahre nach dem Start noch funktioniert, weiß der Fußball-Bundesligist FC Augsburg. Der FCA ist heute wohl der stärkste Botschafter der Fuggerstadt – trotz Brecht, Fugger, Mozart – und der Puppenkiste. Und was macht der FC Augsburg?

Wenn das Kasperle die FCA-Heimspiele tippt


Vor jedem Heimspiel in der WWK-Arena tippt das Kasperle aus der Puppenkiste das Ergebnis. Der Kapitän des FCA überreicht dem gegnerischen Spielführer anstelle eines Wimpels eine jährlich wechselnde Marionette und die Torhymne „Eine Insel mit zwei Bergen“ wird zum Freudenlied.


Was das bedeutet? Brecht, Fugger, Mozart sind großartig. Doch die stärkste Marke unserer Stadt ist noch immer die „Augsburger Puppenkiste“.

Happy Birthday, ihr herrlichen Holzköpfe!

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