Mit dem Ostwerk verlor die Fuggerstadt am Wochenende eine weitere Kult-Disco – im Großraum-Club gingen nach einer gebührenden Abschiedsparty für immer die Lichter aus. „Wenn es den einen Grund dafür gäbe, warum immer weniger Menschen in die Disco gehen, „dann würden wir das Problem natürlich lösen“, bekräftigt Stefan Egger. Der Disc-Jockey, Musiker, Veranstalter, Unternehmer (P.M. Untermeitingen, Ex-Ostwerk Augsburg, Sommerkeller Igling) hat einen ganzen Berg von Ursachen für das Disco-Sterben ausgemacht. Das geänderte Ausgeh-Verhalten, erzwungen durch die Corona-Beschränkungen, habe das Fass gleichsam zum Überlaufen gebracht.

Weniger junge Leute insgesamt aufgrund des demografischen Bevölkerungswandels, weniger Geld in den Taschen der jungen Generation, neue Möglichkeiten des Internets, der sozialen Medien, der Heim-Technik – dies und anderes mehr sieht er als Gründe eines Wandels, der es Disco-Betreibern immer schwieriger macht, noch profitabel zu wirtschaften und ihre Lokale zu betreiben. Freilich beobachtet auch Ufuk Aykut, seit 30 Jahren neben Michael Klein einer der Geschäftsführer im Spectrum in Kriegshaber, die Entwicklung bei den Discotheken in der Umgebung. Und er sieht solche Veränderungen im Ausgehverhalten. Dennoch sieht er das Spectrum nach wie vor auf einem guten Weg, nicht zuletzt wegen seines langjährig treuen Stammpublikums.

Die Gründe für das Disco-Sterben sind vielseitig

Stefan Egger, gebürtiger Innsbrucker, der seit 40 Jahren „auflegt“, seit rund 30 Jahren Events veranstaltet und seit 26 Jahren sein P.M. in Untermeitingen betreibt, erinnert sich an früher. Daran, wie es im P.M. jeden Freitag und Samstag mit zwischen 500 und 1000 Gästen so voll gewesen sei, dass man zusätzlich den Donnerstag öffnete. Erinnert sich an Gäste-Befragungen, die erbrachten, dass seine Besucher jede Woche zweimal fortgegangen seien, neben dem Plärrer, anderen Volks- oder Vereinsfesten, Bauwagenpartys… eben regelmäßig auch in die Disco. Aus „zweimal in der Woche“ sei inzwischen „einmal im Monat“ geworden. Einmal im Monat, wozu die Party auf Mallorca oder an der Adria ebenso zählt wie der Besuch der Disco in der Umgebung. Dann werde wieder drei Wochen gespart („teure Miete“, „teures Auto“, „teurer Handyvertrag“), bevor man wieder ans Fortgehen denke. Gerade das Handy, die sozialen Medien, lieferten einen weiteren Grund, weswegen junge Leute, die nicht ausgegangen sind, sich deswegen längst nicht mehr vom Lauf der Welt abgeschnitten fühlen müssten. Über Apps und Plattformen könne man einander kennenlernen, quatschen, sich verabreden. Und dann habe man ja die Wohnung, das Zimmer nach bestem Stand der Technik ausgerüstet. Ein mächtiger Flachbildfernseher vermittle einem den Eindruck, bei der live übertragenen Party aus Rio oder aus Bangkok persönlich dabei zu sein.

Spezielle Partys führen nur bedingt zu einem Erfolg

Und der eine Kumpel hat ein Sixpack Bier dabei, sechs Flaschen, die billiger sind als ein Drink in der Disco, analog zu den Energy-Drinks des anderen Kumpels und zum Popcorn, das die Mädels mitgebracht haben. Party zuhause, oder einfach „Chillen“ zuhause, das bedeute längst nicht mehr, sich einsam durch den Abend zu vertrösten. Und jenes Gefühl, gemeinsam mit anderen zu tanzen, dem Disc-Jockey oder der Live-Band zuzujubeln? Naja, das, so Egger, hebe man sich eben auf für den nächsten Besuch in der Disco oder dem nächsten Club. Egger kann sich durchaus vorstellen, dass das Pendel auch wieder in die andere Richtung ausschlägt.

Derzeit heiße es für ihn und seinen Kollegen, ums Überleben ihrer Lokale zu kämpfen. Ein Kampf übrigens, den die Discotheken-Branche mit der Kino-Branche teile, die vor ganz ähnlichen Problemen stünde. Keinen Eintritt verlangen und darauf hoffen, dass doppelt so viele Leute kommen wie sonst und doppelt so viel konsumieren? Spezielle Partys mit trendigen Mottos veranstalten? Internationale Stars der Disc-Jockey-Szene verpflichten? Alles bereits ausprobiert. Führe in Einzelfällen auch zum Erfolg, so Egger, sei aber nicht dazu geeignet, große Discos regelmäßig Freitag- und Samstagabend voll zu bekommen. Die Konsequenz: Im Augsburger Partnachweg schloss mit dem Ostwerk ein Club, der 34 Jahre lang existierte und wo Egger regelmäßig auflegte. Sinkende Besucherzahlen werden vom Betreiber als Grund genannt.

Auch in der Umgebung schließen immer mehr Discotheken

Identisch die Begründung dafür, dass ebenfalls in diesen Tagen die Disco M1 in Aichach für immer schloss. Dort wurde seit 1984 insgesamt sogar 41 Jahre getanzt und gefeiert. Während der Pandemie machten die Betreiber der Disco Prisma in Asbach-Bäumenheim „Nägel mit Köpfen“: Das Lokal schloss nach 22 Betriebsjahren im Oktober 2020 und es wurde auch gleich noch verkauft und in ein Ausbildungscenter umgewandelt.

Ist in diesen Lokalen zu lange, zu sehr immer das Gleiche gemacht worden? Möglicherweise ja, zumindest, wenn man auf das Erfolgskonzept des Spectrums in Augsburg schaut. Live-Konzerte gehören dort von Anfang an zum Portfolio. Manfred Mann – der demnächst 85 Jahre alt wird – gehört mit seiner Earth Band ebenso zu den langjährigen Bühnenstars wie The Hooters, The Sweet und viele andere mehr. Klassiker seit Generationen sind der Rock Friday oder Ü-30 und Ü-40-Partys. Anstatt mit Teeniepartys junge Generationen für das Lokal zu gewinnen, kann man im Spectrum abwarten. Es sei nichts Ungewöhnliches, dass bei Partys Mütter neben ihren (erwachsenen) Kindern tanzten. Nachdem man nach Corona wieder habe öffnen dürfen, seien sich langjährige Stammgäste im Spectrum vor Freude um den Hals gefallen, erinnert sich Aykut. Und diese Gäste seien dem Club bis heute treu geblieben. Ja, eines Tages wird auch Ufuk Aykut in den Ruhestand überwechseln, wird Manfred Mann seinen letzten Auftritt absolviert haben, werden jahrzehntelange Stammgäste altersbedingt ausbleiben. Noch aber, so der Geschäftsführer optimistisch, brauche sich noch lange niemand Sorgen um „sein“ Spectrum machen.

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