In genau 43 Tagen werde ich sterben…. in 12 Tagen… was werde ich eigentlich morgen essen, bevor ich mir die tödliche Infusion verabreiche? Irrsinn – oder eine tröstliche Vorstellung, das Ende des eigenen Lebens selbst mitbestimmen zu können? Walter H. – wir haben seinen Namen verändert – , Leser unserer Zeitung, bittet darum, darüber zu berichten, dass man in Deutschland tatsächlich selbstbestimmt an seinem Tod mitwirken kann, ohne einen schlimmen Unfall zu verursachen. Familiäre Erlebnisse haben Walter H. und seine Ehefrau dazu bewogen, sich einem Sterbehilfeverein anzuschließen. Um im Falle des Falles das eigene Lebensende mitgestalten zu können. Dabei machen die Erlebnisse der Familie, so wie H. sie im Vertrauen erzählt hat, nachdenklich, sind keine Werbung für einen selbst geplanten Tod.

Denn man hinterlässt Angehörige, Freunde, Bekannte, Menschen, die einem wohlgesonnen waren – und die sich möglicherweise schwerste Vorwürfe machen: Sind wir schuld daran, dass er freiwillig aus dem Leben geschieden ist, haben wir etwas Falsches gesagt, uns zu wenig gekümmert…?

Die Geschichte von Walter H. beginnt mit einer Angehörigen, über 80 Jahre alt, die von ihren Ärzten die Diagnose „Krebs im Endstadium“ gestellt bekommen hat. Die als „austherapiert“ aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen worden ist, um ihre letzte Lebensphase im Kreise der Familie verbringen zu können, um dort zu sterben. Eine Palliativpatientin, einige Wochen lang mit hoch dosierten Medikamenten schmerzfrei gestellt, so lange, bis der geschwächte Körper nicht mehr kann, bis der letzte Atemzug getan ist. Gerne, so berichtet Walter H, hätte diese Angehörige sich und ihrer Familie die letzten Wochen des Schmerzes und des Leidens erspart und sich selbst ein schnelleres Ende bereitet. Aber sie war noch nicht lange genug Mitglied der entsprechenden Gesellschaft, um derart tätig werden zu können.

In der Schweiz funktioniert der Freitod anders als in Deutschland

Lange genug Mitglied solch einer Gesellschaft war unterdessen der bald 90-jährige Ehemann der Angehörigen, erklärt Walter H.. Und der Witwer wurde nach 60 gemeinsamen Ehejahren ob der ungewohnten Einsamkeit schwermütig, ja lebensmüde. Allerdings war er zwar alt, aber nicht krank oder gar sterbenskrank.

Hier werden zwei unterschiedliche Ansätze deutlich: In der Schweiz, so Walter H., funktioniere Sterbehilfe prinzipiell so, dass die Behandlung von schwerkranken Menschen unterlassen werde und sie dadurch (eher) sterben. In Deutschland hingegen, wo das Bundesverfassungsgericht 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt und ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben formuliert hat, könne man auch als gesunder Mensch sein Lebensende herbeiführen. So geschehen bei seinem bald 90-jährigen Bekannten. Wie in solchen Fällen unerlässlich, kamen ein Rechtsanwalt und ein Arzt bei diesem zuhause vorbei. Es wurde überprüft, dass der Patient tatsächlich ohne jeden Druck von außen seinen Todeswunsch zu Protokoll gibt. Und ärztlicherseits wurden die Modalitäten am „Tag Null“ besprochen.

Der Patient selbst gibt die tödliche Infusion frei

Dann beginnen die letzten 43 Tage des Lebens, die letzten 12 Tage, der letzte Morgen. Der Arzt kommt wieder vorbei, der Anwalt. Je nachdem können die letzten Lebensmomente mit oder ohne Angehörige verbracht werden. Mit einem Tastendruck gibt schließlich der Patient persönlich die tödliche Infusion frei. Vier, fünf Minuten, dann hört das Herz zu schlagen, die Lunge zu atmen auf. So starb auch der 90-Jährige.

Für den Patienten wohl die Erlösung, die er selbst für sich gesucht hat. Was nicht planbar ist, sind die Gefühle, Empfindungen, Reaktionen all derer, die zurückgelassen worden sind. Worum es gehen kann, ist eher indirekt aus den Worten von Walter H. herauszuhören. Da weigert sich ein Angehöriger seit diesem Tag, das Haus des verstorbenen Angehörigen zu betreten. Ein anderer war weder auf der Beerdigung noch jemals am Grab. Das Gefühlsleben von Freunden und Verwandten schwankt zwischen Verärgerung, Enttäuschung, Verzweiflung. Freilich werden bei vielen Todesfällen starke Emotionen hervorgerufen, aber es scheint einen Unterschied zu geben, wenn sich jemand selbst sein Ende bereitet hat.

Eine Minderheit des bayerischen Ethikrats, darunter der Augsburger Weihbischof Anton Losinger, trägt die von der Mehrheit ausgesprochenen „Empfehlungen zur Institutionalisierung von Angeboten der Assistenz zum Suizid“ in Verantwortung oder durch Vermittlung von Alten- und Seniorenheimen sowie Kliniken und Einrichtungen der Pflege nicht mit. Die Einwände der Kirchenvertreter (neben Losinger der evangelischen Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler, des Rabbiners Steven Langnas und Baumechanik-Professor Gerhard Müller) betreffen in der Hauptsache die Fragen elementarer grundrechtlicher Elemente wie Lebensrecht, Freiheit und Würde der Person. Nicht Konzepte zur Ermöglichung des assistierten Suizids seien laut Losinger die richtige Antwort auf prekäre Lebenssituationen am Lebensende, sondern Hilfe, Zuwendung und Unterstützung in diesen schwierigen Lebenslagen und die Entwicklung von Lebensperspektiven für Menschen in Not.

Die Polizei informiert, „dass wir keine Statistiken über passive Sterbehilfe führen“, so Sprecher Markus Trieb. Die Kriminalpolizei komme bei einem Suizid immer dann ins Spiel, wenn die Todesursache ungeklärt oder nicht natürlich ist. Bei einem Suizid sei die Todesursache ganz offensichtlich nicht natürlich, weshalb die Ermittler in jedem dieser Fälle verständigt werden müssten und die Umstände des Ablebens vor Ort untersuchen. In Fällen, bei denen eine Person beispielsweise auf Grund von Altersschwäche oder schwerer Krankheit verstirbt, komme ein Arzt in der Regel zu dem Ergebnis, dass eine natürliche Todesursache vorliegt und somit die Polizei grundsätzlich nicht notwendig sei. „Aktive Sterbehilfe ist in unserem Zuständigkeitsbereich die große Ausnahme. Über die letzten zehn Jahre gab es diesbezüglich wenige Einzelfälle, wo hierzu ein Verdacht bestand“, so Trieb.

Acht Fälle, die den Freitod im Raum Augsburg wählten

Wega Wenzel ist Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), die früher in Augsburg saß, inzwischen in Berlin ist. Diese ist der größte deutsche Verein für Freitodbegleitung, er hatte ehedem die Frist von mindestens einem halben Jahr „Wartezeit“ eingeführt, um spontanen Todeswünschen entgegenzuwirken. Nach Wenzels Worten hatte die DGHS im Jahr 2024 genau 623 Freitode begleitet, für 2025 gehe es Richtung 800 Fälle. Seit 2020 fand Wenzel in der Vereinsstatistik insgesamt acht Fälle für Augsburg (inklusive Mering, Gersthofen und zwei Mal Neusäß). Naturgemäß kämen die meisten Patienten aus der Altersgruppe zwischen 80 und 89 Jahren, gefolgt von den Jahrzehnten darüber und darunter. Relativ häufig spiele eine Tumor-Diagnose eine Rolle, ebenso wie MS und ALS oder schwere Mehrfach-Erkrankungen, um sich der Gesellschaft anzuschließen.

Haben Sie suizidale Gedanken oder haben Sie diese bei einem Angehörigen/Bekannten festgestellt? Hilfe bietet die Telefonseelsorge: Anonyme Beratung erhält man rund um die Uhr unter den kostenlosen Nummern 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222. Auch eine Beratung über das Internet ist möglich unter http://www.telefonseelsorge.de

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