Noch tragen die Tänzerinnen und Tänzer Jogginghose und T-Shirt auf der Augsburger Freilichtbühne am Roten Tor. Ballettdirektor Ricardo Fernando zählt laut mit: „5,6,7,8, da da da dam!“ – dann wiegen sich die Paare im Takt eines Tangos. Die Szene wirkt spontan, fast beiläufig, aber sie ist das Ergebnis intensiver Probenarbeit. Und ein Vorgeschmack auf das, was das Publikum ab dem 21. Juni erwartet: die Musicalproduktion „Evita“ mit ungewöhnlich großer Beteiligung des Balletts.
Der Augsburg Journal REPORTER konnte bei einer Probe erste Einblicke in die aufwendige Inszenierung erhaschen. Besonders auffällig ist schon da das opulente Bühnenbild, wieder von Karel Spanhak – aber nicht minder beeindruckend ist die choreografische Komponente. „Das Ballett ist sehr involviert: nicht nur bei Tanzszenen, sondern wir sind Teil der Inszenierung“, erklärt Choreograf Fernando. Etwa wenn es gemeinsam mit Chor und Musicaldarstellern das argentinische Volk verkörpert. Dabei wird nicht nur getanzt, sondern auch gesungen – wie beim eindringlichen Requiem zu Beginn der Vorstellung.
14 Tänzerinnen und Tänzer – sieben gemischte Paare – stehen auf der Bühne, später begleitet vom großen Live-Orchester. Die Tänzer tragen Kostüme aus den 1930er- bis 50er-Jahren, ganz im Stil von Eva Peróns Zeit. Für Fernando ist es wichtig, dass „der Look stimmt“.
Musikalisch wartet das Stück mit einer Besonderheit auf: In Augsburg wird erstmals in Deutschland die neue „Symphonic Version“ von Evita aufgeführt – ein sinfonischer Klangkörper mit zusätzlichen Orchesterstimmen, wie er bereits am Broadway zu hören war. Die Augsburger Philharmoniker unter Leitung des 2. Kapellmeisters Sebastiaan van Yperen musizieren live im Orchesterzelt neben der Bühne. Dass die Musik so satt klingt, freut auch Ricardo Fernando: „Es ist ein fantastischer Klang, bringt viel Kraft für die Choreografie. Es ist fast wie eine moderne Oper.“
„‚Evita‘ ist eins meiner Lieblingsmusicals“
Für ihn ist „Evita“ ein Herzensprojekt. „Evita ist eins meiner Lieblingsmusicals; Ich habe es selbst schon oft inszeniert und choreografiert.“ Die Arbeit beginne mit dem Konzept von Regisseur Florian Mahlberg. „Ich als Choreograf gehe in die Musik, und überlege, welche Schritte gut wären“, so Fernando. Wichtig sei, mit der Musik zu arbeiten.
Die Zusammenarbeit mit Mahlberg gebe ihm viele Freiheiten: „Wir sprechen oft über Szenen. Er sagt uns seine Erwartungen und ich mache Vorschläge.“ Die Choreografie umfasst anders als bei einem klassischen Ballettabend viele Tanzstile: lateinamerikanische Rhythmen wie Tango, Salsa, Cha-Cha, Rumba – und Jota, ein traditioneller Tanz aus Spanien. „Es ist ein kompletter musikalischer Reigen“, so Fernando.
„Für mich ist es besonders, eine Choreografie zu entwerfen, die mit Argentinien zu tun hat“, betont der gebürtige Brasilianer. „Ich war in Buenos Aires, habe gesehen, wie sie in den Straßen Tango tanzen. Das baue ich mit ein.“
Die tänzerische Umsetzung auf der Freilichtbühne ist jedoch eine Herausforderung: Der Boden besteht aus glatten Holzdielen, die durch Hitze uneben oder bei Regen gefährlich glatt werden können. „Ich muss über die Sprünge und Drehungen nachdenken, damit sich die Tänzer nicht verletzen“, erklärt Fernando. Spezielle Schuhe kommen zum Einsatz, die Choreografie wird den Bedingungen angepasst, die Tänzer versuchen, ihr Verletzungsrisiko zu minimieren. Woran man als Zuschauer auch nicht sofort denkt: „Im Höfle gibt es extra Sonnencremespender, wo wir uns alle bedienen sollen“, berichtet er. Die Probenzeiten – vormittags und abends – sind so gelegt, dass die pralle Sonne möglichst gemieden wird.
Ricardo Fernando: Die Tänzer sind Teil der Inszenierung
Es ist nicht das erste Mal, dass Ricardo Fernando an der Freilichtbühne choreografiert. Schon bei „Herz aus Gold“, dem Musical über Jakob Fugger, war er vorn dabei. „‚Herz aus Gold‘ war eine große Besonderheit für uns und Augsburg. Eine Weltpremiere, ein neu kreiertes Musical. Herz aus Gold war DAS größte Event überhaupt.“ Evita sei schon weltweit bekannt. Trotzdem: „Hier auf der Freilichtbühne ist alles besonders.“
Zurzeit wird noch mit E-Piano aus dem Lautsprecher geprobt – das volle Orchester kommt erst ab der Bühnenorchesterprobe dazu. Doch schon jetzt ist die Intensität der Szenen spürbar: Beim Begräbnis schreiten Chor und Tänzer mit roten Blumen über die Bühne, singen klagend in einer Prozession „Evita“. Sie tragen einen Sarg, in dem Katja Berg als Eva Perón liegt – dann hebt sie den Kopf und schaut neugierig durch ein kleines Fenster.
„Evita“ auf der Freilichtbühne Augsburg verspricht eine mitreißende Mischung aus Musik, Tanz und großer Geschichte. Nicht vergleichbar mit einem reinen Ballettabend. Aber der Blick hinter die Kulissen zeigt, dass das Ballett weit mehr als nur Begleitung ist: Es wird Teil der Inszenierung, des argentinischen Volkes. Zwar ohne Sprechrollen. Aber: „Wie bei ‚Frida‘ schon singen unsere Tänzer gerne“, sagt Fernando. Und tanzen – das tun sie sowieso mit ganzer Seele.
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