Sind es überhaupt 300 Meter vom Sheridan-Kasernentor bis ins damalige Lokal „Last Chance“ in der Stadtberger Straße? Sei es drum, winkt Edgar Mathe ab, „hätte der liebe Gott gewollt, dass wir laufen, hätte er uns nicht das Auto erfinden lassen“, erklärt er die Haltung der US-Amerikaner zu Zeiten der Armee in Augsburg. Niemand sei damals solch eine Stecke gelaufen, anstatt diese zu fahren. Zu fahren bedeutete – außer für Offiziere mit ihren Dienstwagen –, ein Taxi zu nehmen, womit wiederum Mathe ins Spiel kam, der sein gesamtes Studium als Taxifahrer finanziert hatte.
Eine Entscheidung, die Mathe, Jahrgang 1953, – fast – nie bereut hatte. „Freitagabend bin ich Teil dieser Welt geworden“, erklärt der langjährige Geschäftsführer der Augsburger Wohnbaugruppe (bis 2014), inzwischen im Ruhestand. Bereits als Bub, so erinnert er sich, habe er in der heutigen Bürgermeister-Bohl-Straße am Zaun der Kaserne gestanden. Und die Hand unter selbigem hindurch gesteckt in der Hoffnung auf eine original amerikanische Leckerei. Spätestens als Student habe sich ihm die Möglichkeit geboten, seine Vorliebe für Autos („ein amerikanischer Achtzylinder ist kein Motor, das ist eine Skulptur“) und für die US-amerikanische Kultur mit der Notwendigkeit nach einem Verdienst zu verbinden. Seine gesamte Studienzeit von 1974 bis 1981 sei er Taxi gefahren, so Mathe, vorwiegend in der Nacht von Freitag auf Samstag, von Samstag auf Sonntag, während des Plärrers oder der Herbstmanöver, ab und an auch unter der Woche. Weil er sich in der englischen Sprache wohlgefühlt habe, habe er mit seinem Mercedes-„Strich acht“-Taxi meistens einen Stellplatz vor einer der Kasernen oder in den angrenzenden Wohngebieten gesucht, so Mathe. Um dann auf Aufträge aus der Taxizentrale zu warten, die amerikanische Fahrgäste betrafen.
Vor allem dreierlei Touren seien damals gefragt gewesen. Entweder vom Sheridan Gate in den NCO-Club, so nannte sich der Nocommissioned Officers´ Club für Unteroffiziere im heutigen Abraxas. Oder vom Flak Gate in besagtes Lokal „Last Chance“, das bis in die frühen Morgenstunden geöffnet hatte. Oder drittens in die „Housing Area“ oder das PX, wo man als Militärangehöriger einkaufen konnte. Dazu gab es zahlreiche Fahrten zu anderen von den GIs gerne besuchten Lokalen im Stadtgebiet. Günstig für Mathe: Viele der US-Amerikaner hätten nicht sehr aufs Geld geschaut oder sich bei dem „fantastischen Wechselkurs“ von vier D-Mark für einen US-Dollar großzügig gezeigt.
Dass Mathe seine Taxifahrer-Tätigkeit nur fast nie bereut hatte, hängt mit einem Nasenbeinbruch zusammen. Den habe er als Student nämlich auch seinem Job zu verdanken, als er bei einer der nicht selten vorgekommenen körperlichen Auseinandersetzungen eins auf die Nase bekommen hatte.
AFN, Jeans und Burger
Lieber erinnert sich Mathe an die Lebensverhältnisse, die ihn als jungen Mann damals geprägt hatten. Im Radio habe man praktisch nur den amerikanischen Militärsender AFN gehört, wo die angesagteste Musik gespielt wurde. Keine Frage, dass Mathe und viele seiner Zeitgenossen ausschließlich „richtige“ Jeans trugen, amerikanische Autos verehrten, sogar amerikanische Literatur von Truman Capote oder Charles Bukowski bevorzugten.
Und natürlich original amerikanische Burger. Hier war Mathe in der vorteilhaften Situation, als Taxifahrer doch recht nahe an die damals streng bewachten Kaserneneingänge heranzudürfen. Generell sei das Betreten der Militäranlagen Fremden ja nicht gestattet gewesen, aber verschiedentlich habe man doch zugreifen können. Vorausgesetzt, man hatte Dollars – die Mathe hatte, denn die Amerikaner hätten das Taxi meist mit der US-Währung gezahlt.
Edgar Mathe und Daniel Cermak: Freundschaft bis heute
Dass Mathe, auch dank familiärer Bande mit den USA verbunden, bis heute Kontakte zu damaligen Militärangehörigen hat, ist der privaten Situation geschuldet. In einem Haus seiner Schwiegereltern habe ein Militärpolizist eine Wohnung bezogen. Mit diesem, Daniel Cermak, pflegt Mathe bis heute Kontakt, zumeist telefonisch, gelegentlich auch persönlich.
Freilich hatte seine Liebe zum American Way of Life Mathe für Jahre zum Besitzer mehrerer Cadillac Achtzylinder-Oldtimer gemacht, ein Hobby, welches „Caddie Eddy“, so sein Spitzname, inzwischen aufgegeben hat.
Mathe legt Wert auf die Feststellung, dass er und viele seiner Amerika-Freunde bei aller Bewunderung stets auch die Zerrissenheit dieser Nation im Bewusstsein gehabt haben. Jenen ethischen Riss, der durch die Gesellschaft ging (und geht), was die Rolle Schwarzer in den USA anbelangt. Und die Zerrissenheit bezüglich des Vietnam-Krieges. Und nicht zuletzt die ideologische Zerrissenheit Republikaner-Demokraten, die die USA von heute präge. Dennoch, so Mathes Fazit: Jeder mache sich selbst einmal seine Gedanken, was geworden wäre, wären nach dem Krieg nicht die Amerikaner, sondern die Russen nach Bayern und nach Augsburg gekommen.
Mit dem ehemaligen Militärpolizisten Daniel Cermak verbindet Edgar Mathe eine Freundschaft bis heute.
Früher und heute: In der Bürgermeister-Bohl-Straße war früher der Haupteingang der Sheridan-Kaserne (Archivfoto rechts), und genau dort, wo Herbert Mathe jetzt steht, stand er vor 50 Jahren oft mit seinem Taxi.
Das „Last Chance“ war ein bei amerikanischen Soldaten beliebtes Lokal nahe der Sheridan-Kaserne. Heute beherbergt das Haus Wohnungen.
Fotos: Amerika in Augsburg, Mathe, Siegel
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