Warum Marc Lucassen die „Rosa Brille“ dennoch nicht steht.

In den letzten Jahren – mit Pandemie-Krise und Ukraine-Krieg – zeigte sich eindrücklich, wie schwierig derzeit Prognosen sind. Die regionale Wirtschaft muss sich trotzdem für einen Weg entscheiden, wie sie weitermacht – und den Widrigkeiten möglichst erfolgreich trotzt. Anja Marks-Schilffarth sprach mit dem Hauptgeschäftsführer der IHK-Schwaben, Marc Lucassen, über seine Einschätzungen für 2023.


Augsburg Journal Reporter: Unsere neue Zeitung hat ja ein Faible für „pretty in pink“. Darf ein IHK-Hauptgeschäftsführer wie Sie auch ab und zu die rosarote Brille aufsetzen?


Marc Lucassen: Ich fürchte, die rosarote Brille steht mir nicht. Zu meinen Aufgaben gehört es, die Probleme der Wirtschaft deutlich zu benennen und gegenüber der Politik für Lösungen einzutreten. Dafür benötige ich einen realistischen Blick auf die Dinge – und manchmal die Lesebrille für das Kleingedruckte.

Also angenommen Sie blicken für uns dennoch einmal hindurch – welche positiven Aussichten für Augsburg und Schwaben strahlen da besonders hell hinter den rosafarbenen Gläsern?

Lucassen: Augsburg und die Region kann Krise. Das hat unser Wirtschaftsstandort in den sehr schwierigen letzten drei Jahren bewiesen. Wir haben vor Ort innovative Unternehmen, die trotz hoher Belastungen in die duale Ausbildung, in die Digitalisierung, in neue Geschäftsmodelle und neue Märkte investieren. Auch ohne rosarote Brille können wir also mit einer gewissen Portion Zuversicht in die Zukunft blicken.

In der Januar-Ausgabe des AUGSBURG JOURNAL Magazins haben Sie aber auch gesagt, Sie sehen für das Jahr 2023 in der Region, dass es „eigentlich“ nur besser werden könne. Welches Risiko versteckt sich hinter diesem kleinen Wörtchen „eigentlich“?

Lucassen: Seit März 2020 musste die Wirtschaft mehrere Krisen bewältigen, die sich teilweise überlagert haben. Corona-Pandemie, brüchige Lieferketten, Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflation, Fachkräftemangel – das ist eine ungewöhnlich hohe Dichte an Herausforderungen. Es gibt erste Anzeichen, dass das Jahr 2023 wirtschaftlich besser laufen wird. Doch nach den Erfahrungen der letzten Jahre sollten wir mit Prognosen vorsichtig sein. Wir wissen nicht, wie sich die Krisen entwickeln oder ob sogar weitere hinzukommen.

Auch loben Sie die regionale Wirtschaft, dass sie in den letzten drei Jahren alle Herausforderungen gut gemeistert habe. Das gilt ja leider nie für alle. Welchen Unternehmen in welchen Branchen geht’s Ihrem Vernehmen nach gut – wer leidet nach wie vor?

Lucassen: Der von der IHK Schwaben für die Region ermittelte Konjunkturindex ist im Lauf des Jahres 2022 in allen Branchen stark gefallen. Dabei ist nicht die wirtschaftliche Lage das eigentliche Problem, sondern die schlechten Erwartungen. Besonders das Reise- und Gastgewerbe und der Handel blicken wenig optimistisch in die nahe Zukunft. Hier zeigt sich die berechtigte Sorge, dass die Menschen aufgrund der hohen Inflation weniger für Konsumgüter und Gastronomie ausgeben. Aber auch sechs von zehn Unternehmen in der Industrie und im Baugewerbe gehen von einer schlechteren Geschäftslage in den kommenden Monaten aus. Im Bereich der Dienstleistungen ist man etwas optimistischer. Jedoch drücken hier die steigenden Arbeitskosten auf die Stimmung.

An Pandemie und Ukraine-Krieg haben wir uns, so traurig das ist, inzwischen gewöhnt. Wo genau befinden sich die aktuellen Schmerzpunkte ihrer Mitglieder?

Lucassen: Für die meisten Unternehmen sind die hohen Energiekosten eine große Belastung. Die Preisbremsen bei Strom und Gas werden die Lage vorübergehend etwas entspannen. Doch leiden gerade die Unternehmen nach wie vor, die viel Energie verbrauchen und diejenigen, die ihre hohen Kosten nicht weitergeben können. Die Produktion von chemischen Erzeugnissen wird ebenso wie die Metallerzeugung und -bearbeitung mit höheren Kosten verbunden sein. Das trifft letztlich alle Branchen, die auf diese Produkte oder Dienstleistungen angewiesen sind. Die Industrie muss neben all den Krisen zudem noch das gerade in Kraft getretene deutsche Lieferkettengesetz umsetzen, das für sehr viel Bürokratie und Rechtsunsicherheit sorgt. Die Inflation drückt auf die Konsumlaune, was wiederum den Einzelhandel und die Freizeitwirtschaft trifft. Gleichzeitig müssen wir die strukturellen Herausforderungen wie den Arbeits- und Fachkräftemangel, die Digitalisierung und die Transformation zu einer CO2-armen Wirtschaft angehen.

Was sind Themen für unsere Region, in denen wir noch mehr punkten könnten?

Lucassen: In der Region partizipieren wir an vielen Entwicklungen. Nehmen Sie zum Beispiel das Universitätsklinikum Augsburg. Es hat das Potenzial, ein neuer Nukleus für die Gesundheitswirtschaft und die Medizintechnik in Bayern zu werden, auch wenn wir aktuell noch am Anfang stehen. Das Augsburger Umland macht sich schon längst auf den Weg, diesen Impuls in Wert zu setzen: Gewerbeflächen, Wohnraum und Betreuungsangebote stehen auf der Wunschliste der Wirtschaft ganz oben. Ein weiteres Beispiel ist der Wandel der Automobilindustrie hin zu alternativen Antrieben. Nur durch den Einsatz moderner Technologien können die dortigen Arbeitsplätze gesichert werden. Mit dem KI-Produktionsnetzwerk haben die Unternehmen in der Region nun Zugang zu exklusivem Wissen aus der Forschung, auch dank der wertvollen Arbeit der Hochschule und der Universität Augsburg. Als IHK sind wir an dieser Stelle Vermittler für interessierte Unternehmen.

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