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Samstag, 24. Mai 2025

Jürgen Enninger im Interview: Händchen halten gegen den Hass

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Vor kurzem wurden zwei Männer auf der Augsburger Maximilianstraße beleidigt und krankenhausreif geschlagen. Gegen fünf Verdächtige laufen Ermittlungen wegen „Hasskriminalität“, wovon das Bundesinnenministerium spricht, wenn Menschen etwa wegen ihrer Nationalität, Religion oder sexuellen Orientierung angegriffen werden. Bundesweit hat diese Form der Kriminalität laut Bundeskriminalamt zugenommen, in Bayern verdoppelten sich die Taten gar von 2022 auf 2023. Grund für Sport- und Kulturreferent Jürgen Enninger (56), im Gespräch mit Anja Marks-Schilffarth sein eigenes Leben als homosexueller Mann offenzulegen – und gleichzeitig die Öffentlichkeit aufzurütteln.

Augsburg Journal: Herr Enninger, Sie haben sich nach dem Vorfall in der Maximilianstraße von sich aus gemeldet, um öffentlich Stellung zu beziehen. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?

Jürgen Enninger: Mir geht es nicht darum, direkt darauf öffentlich Stellung zu beziehen, sondern vielmehr darum, Mut zu machen sich öffentlich zu zeigen. Häufig ist der erste Impuls nach solchen Vorfällen, zum Beispiel nicht mehr Händchen haltend durch die Maximilianstraße zu gehen. Ich kann diese Angst persönlich auch verstehen. Aber das ist der Anfang eines Teufelskreises. Wenn wir nicht mehr sichtbar sind, tun wir so, als gäbe es uns nicht. Es gibt uns aber und wir haben gleiche Rechte, Händchen haltend durch die Maximilianstraße zu gehen, wie andere Paare auch. Daher wäre Rückzug definitiv die falsche Reaktion. Unsere Szene lebt von Sichtbarkeit und Solidarität – und diese Solidarität müssen wir geben und leben.

Enningers Ehemann Christian Mutzel (li.) unterrichtet an einem Münchner Gymnasium.

AJ: Seit wann leben Sie mit Ihrem Ehemann Christian Mutzel in der Maximilianstraße und welche persönlichen Erfahrungen haben Sie als homosexuelles Paar gemacht?

Enninger: Wir sind seit 1993 ein Paar und leben seit 2020 in der Maximilianstraße. Selbst haben wir noch keine negativen Reaktionen erlebt. Tatsächlich ist es aber immer ein gewisses Spießrutenlaufen, sich durch eine Gruppe angetrunkener Menschen Händchen haltend zu manövrieren. Da lässt man dann auch mal von seinem Mann ab. Ich war entsetzt, als ich von der Gewalttat gehört habe. Leider ist das Problem aber kein rein Augsburger Thema. Wir erleben aktuell weltweit wieder eine Zunahme an queerfeindlichen Übergriffen.

Jürgen Enninger: „Solche Taten passieren nicht im luftleeren Raum“

AJ: Inwiefern hat sich Ihrer Meinung nach das gesellschaftliche Klima gegenüber queeren Menschen in Augsburg in den letzten Jahren verändert – zum Positiven oder auch zum Negativen?

Enninger: Ich war sehr erstaunt darüber, dass ein Thema wie ein Regenbogenzebrastreifen überhaupt noch Kontroversen auslösen könnte. Als ich gelesen habe, was nach dem Post von Peter Rauscher über den Zebrastreifen im Theaterviertel auf den Sozialen Medien los war, war ich wirklich sprachlos. Hier wurde offen Jagd auf die queere Community auf Facebook gemacht. Ich habe jeden einzelnen Beitrag an Facebook gemeldet. Seit Anfang der 1990er Jahre haben wir uns auf jedem CSD für die Rechte der queeren Community eingesetzt. Diese Art und Weise der Hetze lässt mich sprachlos zurück. Bislang habe ich eine Vielzahl von Fortschritten in der Gleichstellung der queeren Community erleben dürfen, zum Beispiel haben sich Claudia Roth und Volker Beck hier immer an die vorderste Front der Bewegung gestellt. Ohne sie wäre auch die gleichgeschlechtliche Ehe bis heute nicht Realität geworden. Doch plötzlich weht uns ein heftiger Wind entgegen.

AJ: Einer der Täter ist ein polizeibekannter Straftäter. Wie bewerten Sie es, dass ein Mensch mit solcher Vorgeschichte offenbar wieder zuschlagen konnte?

Enninger: Solche Taten passieren nicht im luftleeren Raum. Sie sind Ausdruck einer gesellschaftlichen Realität, in der queere Menschen noch immer mit Ablehnung, Ausgrenzung oder gar Gewalt konfrontiert sind. Deshalb ist es unsere Aufgabe, queeres Leben als selbstverständlichen Teil unserer Gesellschaft sichtbar zu machen – im Alltag, in der Politik, im öffentlichen Raum. Gerade Gleichstellungsstellen leisten hier wichtige Arbeit, indem sie vor allem das nicht-queere Umfeld sensibilisieren: Nicht queere Menschen sind das Problem, sondern Teile der Mehrheitsgesellschaft, die mit Vielfalt nicht umgehen können oder wollen. Öffentliche Symbole wie Regenbogenfahnen sind ein klares Zeichen – sie zeigen: Vielfalt ist normal. Gleichzeitig braucht es präventive Maßnahmen. Menschen mit problematischen Einstellungen, insbesondere wenn sie bereits polizeibekannt sind, müssten frühzeitig Beratung und klare Grenzen erfahren – bevor es zu solchen Taten kommt. Ich bin als queerer Mensch meinen Weg in die Gesellschaft gegangen – sichtbar, selbstbewusst, selbstverständlich. Und doch erleben wir, dass Menschen, die queere Personen beleidigen oder angreifen, oft weiter gesellschaftliche Akzeptanz genießen. Das darf nicht sein. Wir müssen ihnen das Gefühl nehmen, im Recht zu sein – und ihnen die Deutung darüber, was ‚normal‘ ist, entziehen.

AJ: Was bedeutet dieser Vorfall für das Sicherheitsgefühl queerer Menschen in Augsburg – und welche Konsequenzen muss die Stadt daraus ziehen?

Enninger: Wir fühlen uns natürlich tatsächlich unsicherer. Selbstverständlich entsteht hier ein Klima der Einschüchterung. Dem können wir nur mit mehr Sichtbarkeit, Solidarität und Mut begegnen. Ich verstehe jeden Einzelnen, der/die Angst hat – und sicherlich ist es eine situative Entscheidung, wann man Händchen hält. Aber ich möchte zu diesem Mut auffordern, denn ohne diesen Mut wäre die Community nicht da, wo sie heute ist. Christopher Street war ein Aufstand gegenüber willkürlichen Polizeiübergriffen. Zum Glück sind wir davon in Deutschland heute weit entfernt, aber dieser Haltung der Sichtbarkeit müssen wir uns jeden Tag stellen.

Jürgen Enninger: Gerade an den Orten wie inder Maximilianstraße sollte Sicherheit gewährleistet sein

AJ: Die Maximilianstraße gilt als einer der belebtesten Orte Augsburgs – wie schwer wiegt es, wenn ausgerechnet dort Hass und Gewalt sichtbar werden?

Enninger: Das führt direkt zu den Ergebnissen der ,Stadt nach Acht‘-Konferenz in Augsburg, die letztes Jahr in Kooperation zwischen der Club- und Kulturkommission und dem Kultur-, Welterbe- und Sportreferat stattgefunden hat. Sicherheit und Rückzugsmöglichkeiten sind grundsätzlich für alle, die in der Nacht feiern, eine wichtige Voraussetzung. Gerade an den Orten der Vielfalt des Nachtlebens, wie in der Maximilianstraße, sollte diese Sicherheit gewährleistet sein.

AJ: Können Sie in Ihrem Referat, Kultur und Sport, aktiv werden gegen Queerfeindlichkeit – und wenn ja, wie?

Enninger: Unser Beitrag im Kultur-, Welterbe- und Sportreferat ist die Unterstützung des CSD als zentrale kulturelle und sportliche Sichtbarkeitsplattform. Hier haben wir bisher seit meinem Amtsantritt jedes Jahr bei Sport- und Kulturveranstaltungen unterstützt und werden dies auch weiterhin monetär und ideell tun. Darüber hinaus haben wir gerade in unserem Referatsbereich die Aufgabe, den Menschen in der Stadt zu ermöglichen, ihren persönlichen Beitrag zur Vielfalt vor Ort sichtbar werden zu lassen; ob im Sportverein oder bei künstlerischem Engagement.

Musikalisches Wohnzimmer – mit Cembalo.

AJ: Wie erleben Sie den Rückhalt aus der Stadtgesellschaft – sowohl als Referent als auch als Privatperson? Wie erlebt es Ihr Mann?

Enninger: Grundsätzlich fühle ich großen Rückhalt. Ich wurde noch nie direkt mit Diskriminierung konfrontiert, auch wenn ich manchmal nicht wissen will, was hinter vorgehaltener Hand geredet wird. Überholte Redewendungen nerven manchmal sehr und auch hier hilft Ansprechen einiges. Ein früherer Chef hat beispielsweise immer den Begriff ,Schwulitäten‘ gebraucht. Ich musste dann schon mal deutlich machen, dass dieser Begriff etwas überholt sei. Wenn ich mich mit dieser Haltung allerdings belasten würde, wäre mein Leben ein anderes geworden. Deswegen gehe ich immer offen mit Menschen um, die sich sichtbar oder unsichtbar unwohl in meiner Nähe fühlen – und das allein aufgrund meiner sexuellen Orientierung. Wie gesagt, ohne den Mut zur Sichtbarkeit verändern wir nichts.

AJ: Was möchten Sie jungen queeren Menschen sagen, die durch solche Vorfälle verunsichert sind?

Enninger: Glaubt an euch, an eure Kraft der Veränderung. Habt keine Angst, aber seid auch nicht leichtsinnig. Ohne eure Sichtbarkeit werden wir auf lange Sicht unsere lang erkämpften Rechte verlieren. Und auch, wenn wir bei solchen Übergriffen die Opfer sind, so sind die Täter die wirklichen Opfer ihrer eigenen Vorurteile. Sie verlieren einen wesentlichen Teil ihrer Menschlichkeit: Das Verständnis, dass das Andere immer Teil von einem selbst ist. Denn mit queeren Rechten ist es wie mit der Demokratie: Wenn man nicht täglich für sie einsteht, gehen sie verloren.

Jürgen Enninger empfing Anja Marks-Schilffarth in der gemütlichen Küche, in der allerdings vorwiegend Ehemann Christian aktiv ist.

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