Im Martinipark entgeht Augsburg nur knapp der Zerstörung durch einen Hurrikan – in der Brechtbühne geht die Menschheit unter. Das Staatstheater präsentiert gleich zwei packende Opern-Premieren, die das Publikum interaktiv einbeziehen. Bertolt Brechts „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, eingebettet in die Musik von Kurt Weill, zeugt im Geburtstagsmonat des großen Augsburger Dichtersohnes von seiner künstlerisch umgesetzten Kapitalismus-Kritik in der Spielstätte im Textilviertel. „The Last Night of the World“ von Agustí Charles feierte in der Brechtstadt ihre Uraufführung, während sich die Protagonisten – gewarnt von einem Traum – auf das Ende der Menschheit vorbereiten. In beiden Produktionen sind die Zuschauer gefordert. Beim Brechtstück ziehen sie sich Warnwesten über, bei Charles gestalten sie das Lebenskonzept eines „Embryos“.
The Last Night of the World
Während immer mehr Glasembryo-Lampen auf dem Boden zerschellen, je näher die Menschheit ihrem Untergang entgegensieht, geht jeder der Protagonisten (verkörpert durch die grandiosen Sänger Jihyun Cecilia Lee, Luise von Garnier, Claudio Zazzaro und Isaac Tolley) verschieden mit seinem nahenden Ende um. Verpackt in sphärisch-klassische Klänge spielen der katalanische Komponist Agustí Charles und sein Librettist Marc Rosich mit der Elektronik: Sie modifiziert, kontrolliert und verfremdet den natürlichen Klang der menschlichen Stimme.
Am Boden: (v.li.) Isaac Tolley, Luise von Garnier, Claudio Zazzaro.
Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
Bedrohlich fühlt es sich an, wenn über alle Kanäle die Alarmstufe rot ausgerufen wird, das Publikum in – nach der Pause verteilte – Warnwesten schlüpft und Münchens Zerstörung bereits besiegelt ist. Die Bertolt Brecht-Story über die Kunststadt Mahagonny, die in der Inszenierung von Jochen Biganzoli zufällig in Augsburg angesiedelt ist, spart nicht mit pfiffigen Regie-Gags – vom Zuschauerraum als Bühne bis zu diversen überraschenden Video-Einspielungen. Chor und Darsteller überzeugen allesamt. Für Hauptfigur Jim (Mirko Roschkowski) gibt‘s jedoch – im Gegensatz zu Augsburg – keine Rettung.
Das spätere Opfer Jim Mahoney, gespielt von Mirko Roschkowski.
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